Nervenregeneration und verwandte Innervationsproblemo.
577
15. Theoretische Interpretationen der Neurofibrillenmetamorphose und
der Regenerationserscheinungen.
Dass die meisten Theorien über das Wesen der Regenerationserscheinungon
uns aus dem Reiche der wirklich beobachteten Erscheinungen in das mehr
spekulative Gebiet der auf meistens sehr schwacher Basis aufgebauten Systeme
der Struktur der lebendigen Substanz führen, ist bei den grossen Schwierigkeiten,
welche uns das Feststellen der feineren histologischen Details bereiten, und
bei unserer Unkenntnis über das Wesen der fibrillären Differenzierung, leicht
zu verstehen. Wenn man noch immer darüber uneinig ist, ob die Neuro¬
fibrillenstränge im Protoplasma liegen oder als selbständige Gebilde in den
Interstitien des Bindegewebes weiterwachsen, bleiben theoretische Erörterungen
über das Wesen dieser Neurofibrillen doch sehr spekulativer Natur. Und sogar
was die anscheinend so klaren Begriffe des Neurotropismus und des Neuro-
kladismus betrifft, so lassen sie uns doch im Stiche, wenn wir sie mit einer
bestimmten Auffassung über das Wesen der Neurofibrillenmetamorphose zu
verbinden suchen. Bielschowsky und Unger haben ja doch eigentlich
vollkommen Recht, wenn sie sagen, dass, wenn wir eine besondere vitale
Affinität oder Zielbestrebung für die auswachsenden Neurofibrillensträngo und
für jeden einzelnen insbesondere annehmen, deren mystischer Charakter da¬
durch doch nicht klarer wird, wenn man ihr in der Nomenklatur ein der
Chemie entlehntes Mäntelchen umhängt.
Ich werde dann auch die theoretischen Betrachtungen über das Wesen
der Regenerationserscheinungen hier nur kurz behandeln, und nur auf die
Erörterungen Marinescos und Heids etwas ausführlicher eingehen, weil
sie sich am besten an die wirklich beobachteten Erscheinungen halten.
Während Apathy (14), an die alten Engelm an nschen Begriffe der
Inotagmen anschliessend, die Neurofibrillen aus Reihen von Neurotagmen
aufgebaut sein lässt, welche sich aus dem Protoplasma differenzieren und so
gross sein sollen, dass die feinsten Elementarfibrillen, welche noch eben
sichtbar sind, aus einer Reihe von länglichen Neurotagmen bestehen, knüpft
Cajal seine Betrachtungen über das Wesen der Neurofibrillenmetamorphose
an die sich schliesslich in derselben Richtung bewegenden allgemeinen Proto¬
plasmatheorien der kleinsten Einheiten an. Er fragt sich (70), ob das Neuron
eine vollkommene Individualität vorstellt, oder eine Mehrheit unbegrenzt vieler
Elemente, welche jedes für sich ein persönliches Leben führen und fähig sind
während einer gewissen Zeit ohne die Mitwirkung der anderen zu existieren, und
er meint, die Transformationsvorgänge des Neurofibrillenretikulums stimmen
besser zu der Theorie der physiologischen Einheiten (physiological units von
Spencer, Pangene von de Vries, Biophore von Weismann usw.) als zu
der Zelllehre Virchows im engeren Sinne. Nach Cajal weisen die Meta¬
morphosenerscheinungen des Retikulums — so die Aussendung neugebildeter
A sber- Spiro, Ergebnisse der Physiologie. XIX. Jthrgang. 37