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XII. Schlußbetrachtung.
Der große Liebig sagte in seiner berühmten Rede vom 26. März
1861: „Wenn die Chemie dem Landwirte gute Düngerrezepte für jedes
Feld oder ein Mittel gegen die Kartoffelkrankheit oder zur Vertilgung der
Raupen und Mäuse oder zur Verhütung des Befallens oder des Brandes
des Getreides verschafft hätte, so würde der praktische Mann vielleicht
nicht im Dunkeln über die Quelle dieser Verbesserungen sein. Allein mit
solchen Dingen, die nur Einzelnen nützen, gibt sich die Wissenschaft
nicht ab, sie beschäftigt sich nur mit dem, was allen gemeinsam nützt,
und das sind die Ideen, welche das Tun der Menschen beherrschen“, usw.
Und wie ist es heute? Heute haben wir eine stattliche Zahl von
landwirtschaftlichen Versuchsstationen, wir haben eine Kaiserliche biolo¬
gische Anstalt für Land- und Forstwirtschaft, die sich speziell die Aufgabe
gestellt hat, die Ursachen der Pflanzenschädigungen und die Gegenmittel
zu finden. Gleich ihr arbeiten in allen Staaten zahlreiche Anstalten zu ähn¬
lichen Zwecken. Die größten Forscher stellen ihre Dienste in das Interesse
der Praxis, wie Liebig es übrigens selbst getan. Dankbar benutzt der Land¬
wirt die Kühnsche Weizenbeize, den Löfflerschen Mäusebazillus und die
Millardetsche Bordeauxbrühe. Erwartungsvoll steht er den neuen
Entdeckungen Brefelds betreffs der Infektionswege der Brandpilze
gegenüber.
„Wie erfolgreich wirkt im Dienste der Menschheit der Biolog,“
sagt Oskar Hertwig*) „wenn er die Ursachen von verheerenden pflanz¬
lichen und tierischen Krankeiten in parasitischen Organismen entdeckt
und dadurch zugleich auch die Mittel zu ihrer Verhütung und Heilung
ausfindig zu machen versteht, oder wenn er durch eine rationelle,
wissenschaftliche Bodenkultur die Ertragsfähigkeit der Felder auf das
Vielfache zu steigern vermag.“
Mehr und mehr stellt sich die Wissenschaft in den Dienst der
Praxis, ohne dadurch von ihrem Ansehen einzubüßen, und so möge auch
unsere Hochschule immerdar eingedenk sein des alten Wahlspruches:
„Für das Leben allermeist!
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*) Oskar Hertwig (Rektor der Universität Berlin) „Das Bildungsbedürfnis und
seine Befriedigung durch deutsche Universitäten.'“ Rede zur Gedächtnisfeier des
Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelm III. am 3. August 1905.
Berlin 1905.