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VI. Die geodätisch-kulturtechnische Abteilung in ihren Studieneimichtungen.
Von nicht ganz so tiefgreifender Bedeutung für das Studium war
die Einführung einer zweiten, sogenannten Fachprüfung für die Land¬
messer der landwirtschaftlichen Verwaltung, die frühestens drei,
spätestens sechs Jahre nach dem Eintritt in deren Dienst abzulegen ist.
Die akademische Prüfung in Kulturtechnik ward dafür (von 1889 ab)
aufgehoben und ersetzt durch eine, mit dem Landmesserexamen ver¬
bundene, umfassendere Prüfung im Fache Kulturtechnik, deren befriedi¬
gendes Bestehen erst den Weg zum Dienste der landwirtschaftlichen
Verwaltung öffnet. Der Erwerb des Prädikats „Kulturtechniker“ ist
seitdem erst mit dem Bestehen der Fachprüfung verknüpft. Das so¬
genannte kulturtechnische Studienzeugnis wird zwar vom Rektor erteilt,
aber nur an solche In- und Ausländer, welche die Landmesserprüfung
und in ihr jene umfassendere Prüfung in Kulturtechnik befriedigend
bestanden haben.*) Trotz der nicht unerheblichen Mehrleistung, die die
umfagendere Prüfung in Kulturtechnik den Landmesserkandidaten auf¬
erlegt, hat zu Berlin doch stets deren grögere Hälfte sich dieser Mühe
unterzogen. Es ist zu wünschen, dag dies so bleibt und sich damit das
Verständnis für kulturtechnische Aufgaben in allen Dienstzweigen des
Vermessungswesens weiter ausbreitet.
Junge Lehranstalten, die technischen Berufen zu dienen haben,
dürfen sich auf sehr widerspruchsvolle Beurteilung gefagt machen. Auch
die geodätisch-kulturtechnische Abteilung erschien manchem Vertreter
der beobachtenden Wissenschaften, namentlich im Hinblick auf die kurze
zweijährige Studienzeit, nicht viel mehr zu bieten, als eine Gelegenheit
für Landmessereleven, sich mechanisch auf Messungen, Rechnungen und
Entwürfe nach feststehenden Mustern einzudrillen. Männer der Praxis
hingegen beklagten laut den Mangel solchen Exerzitiums und verurteilten
die angebliche Tendenz der Hochschule, dem Vermessungsdienst nur
junge Theoretiker zuzuführen. Die Lehrer der Geodäsie und Kultur¬
technik hielten demgegenüber an der Überzeugung fest, dag sie trotz
der beschränkten Studienzeit verpflichtet seien, wissenschaftlich, d. h.
zwar so einfach als möglich, aber mit strenger Begründung vorzutragen
und in den Übungen das selbständige Denken und Schaffen ihrer Zu¬
hörer zu wecken. Es war ihnen wohlbekannt, dag gegenüber schwach
begabten oder trägen Naturen diese Lehrmethode versagt. Und doch
ist es die richtige, und es geschähe dem Landmesserstand ein schlechter
Dienst, wenn die beträchtliche Summe von Fähigkeit des Geistes und
des Willens, die in jedem neuen Jahrgang der Studierenden steckt, nicht
zum selbstüberlegten, der eigenen Verantwortlichkeit bewugten Handeln
hingelenkt würde, dem eigentlichen Ziel der akademischen Bildung.
*) Über die zurzeit bestehenden Studien- und Prüfungsbestimmungen gibt
die Schrift Auskunft: „Ausbildung und Prüfung der preußischen Landmesser und
Kulturtechniker“, 3. Aufl, Berlin 1904.