Volltext: Handbuch der physiologischen Methodik, Dritter Band, Zweite Hälfte: Zentrales Nervensytem, Psychophysik, Phonetik (3)

Die akustischen Eigenschaften des Luftstromes. 
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Die Tastempfindungen geben über die Stimmverhältnisse Aufschluß 
(Vibrationsgefühl). Die dem Kehlkopf oder dem Ansatzrohr angelegte Finger¬ 
kuppe fühlt die Vibrationen und kann auch Stärkeunterschiede dieser Vibra¬ 
tionen ziemlich gut wahrnehmen. Eingehende Untersuchungen von Gutz- 
mann (100) haben gezeigt, daß der Tast auch Tonhöhen, obwohl gröber, 
perzipieren kann, und daß Unterschiede von einem ganzen Ton sich gut 
feststellen lassen. Dazu bediente sich Gutzmann hauptsächlich elektrisch 
angetriebener Stimmgabeln, deren Schwingungen durch Lufttransmission dem 
Finger bzw. dem Kehlkopf übertragen werden. — Im Vergleich mit den 
Leistungen des Gehörs ist es wenig, aber doch nicht zu verachten. 
Das Ohr ist das wichtigste Beobachtungsmittel, und in mancher Hin¬ 
sicht überhaupt das beste Untersuchungsmittel für die Akustik des Luft¬ 
stromes. Wenn auch die wunderbare Präzision in der Auffassung haarfeiner 
Unterschiede und verwickelter Kombinationen, wovon die Fortpflanzung 
sprachlicher Eigentümlichkeiten zeugt, für die Leistungsfähigkeit des bewußt 
analysierenden Ohres nicht ohne weiteres maßgebend ist, so weiß man er¬ 
fahrungsgemäß, wie sogar phonetisch ungeschulte Personen abweichende Aus¬ 
sprachen fühlen und bemerken, natürlich ohne daß sie immer die Abweichungen 
angeben könnten. Die Schärfe des Ohres kann durch Übung gesteigert 
werden, und wird es tatsächlich durch die Gewöhnung an fremde Ver¬ 
hältnisse. Es ist eine jedem Forscher lebender Sprachen und Dialekte be¬ 
kannte Tatsache, daß die in den ersten Tagen gemachten Aufzeichnungen 
nur einen provisorischen Wert haben, und daß manche Einzelheit, nach ein¬ 
gehenderer Kenntnisnahme des gesamten Lautbestandes, anders und richtiger 
aufgefaßt wird. 
Was das Unterscheidungsvermögen des Ohres betrifft, so ist es für ver¬ 
schiedene Eigenschaften verschieden. Am wenigsten empfindlich scheint es 
für Intensitäten zu sein, wo die Unterschiedsschwelle auf 25 °/0 veranschlagt 
wird (andere Angaben sind günstiger, bis ca. 9—10%; vgl. darüber psycho¬ 
physiologische Handbücher). Die Tonhöhen werden weit feiner unterschieden. 
Die psychophysischen Angaben können aber hier nicht direkt verwertet 
werden, da die meisten sich auf die Wahrnehmung reiner Töne von Musik¬ 
instrumenten beziehen. Hier muß zuerst hervorgehoben werden, daß die Hör¬ 
feinheit für musikalische und für sprachliche Töne, Intervalle und Melodien 
durchaus nicht zusammenzufallen braucht; es gibt ausgezeichnete Phonetiker, 
die kein musikalisches Gehör haben, und musikalisch begabte Personen, die 
Sprechintervalle überhaupt nicht, oder nur sehr schwer wahrnehmen. Anderer¬ 
seits scheint die Perzeption der Tonhöhe mit der Klangfarbe in gewissem 
Verhältnisse zu stehen: die Vollstimme erlaubt sicherere Bestimmungen als 
die Flüsterstimme, wo große Schätzungsfehler nicht selten Vorkommen. M. W. 
sind keine systematischen Untersuchungen über den Gegenstand ausgeführt 
worden, denn die Arbeiten von Klünder (101), Hensen (102) u. a. beziehen 
sich auch, und sogar hauptsächlich auf die Wiedergabe eines perzipierten 
musikalischen Tones, so daß die konstatierten Fehler sowohl die Auffassungs- 
wie die Wiedergabefehler unzertrennlich enthalten. 
Es wäre weiter zu untersuchen, inwiefern die Tonbewegungen (steigend, 
fallend usw.) auf die Wahrnehmbarkeit der Tonhöhe überhaupt Einfluß 
haben. — Hier ist zu bemerken, daß die Beobachtung der Sprechtonhöhen
	        
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