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J. Poirot, Die Phonetik.
Daher halfen sich die ersten Forscher1), die sich damit beschäftigten,
damit, daß sie das Profil der beweglichen Teile künstlich durch die Auf¬
legung von Metallinien verschärften. So bestrich Scheier (48) S. 6 die
Zungenoberfläche mit Schleichscher Pasta, die Wismuth reichlich enthält,
oder mit Stanniolplättchen. Barth und Grunmach (49) legten auf die
Zunge in der Mittellinie ein dünnes, leichtes Metallkettchen, das vom Kehl¬
deckel bis außerhalb des Mundes reichte; desgleichen wurde durch die Nase
ein ähnliches Kettchen auf das Gaumensegel gelegt. Beide Kettchen endeten
mit einer winzigen Bleikugel, deren Aufgabe war, die Kette in ihrer Stellung
zu halten. — Statt einer zusammenhängenden Kette gebrauchte E. A. Meyer (50)
eine Art punktierte Metallinie, die er aus 12—15 Bleiplättchen herstellte,
welche in einem Abstand von etwa 8 mm voneinander an zwei Seidenfäden
befestigt waren (Dimensionen der Plättchen 4 x 1,5 x 0,6 mm; Totalgewicht
ca. 0,5 g). Die getrocknete Zunge wurde längs der Mittellinie mit Synde¬
tikon bestrichen und die Kette aufgeklebt. Das Gaumenprofil wurde durch
eine ähnliche Plättchenlinie markiert, die, an einem Streifen Heftpflaster
befestigt, in den Mund eingeführt und längs der ganzen Gaumenwölbung
(inkl. Gaumensegel) aufgedrückt war.
Diese Anordnungen sind aber bedenklich. Sowohl die Zungenfläche
wie der Gaumen sind der Ausgangspunkt vieler, noch wenig untersuchter
Reflexbewegungen, so daß jede Beschwerung der Oberfläche dieser Organe
Störungen der natürlichen Bewegungen zur Folge hat oder haben kann.
Insbesondere machten Scheier, der sein erstes Verfahren bald aufgegeben
hatte, Katzenstein und Gutzmann (Scheier (48) S. 6—7 des SA.) gegen
die Barthsche Methode geltend, daß Kette und Kügelchen die labilen Organe
aus ihrer normalen Lage bringen mußten, daß die Zunge sich dem Druck
anpassen und unbewußt durch allerlei kompensatorische Bewegungen eine
andere Stellung einnehmen würde, und daß die Ketten auch schwerlich die
ursprüngliche Stellung beibehalten könnten. Außerdem ist nach E. A. Meyer
die Möglichkeit vorhanden, daß bei gleichzeitiger Hebung der Zungenspitze
und der Hinterzunge die Kette der Senkung der Mittelzunge nicht genau
folgt, sondern zwischen den beiden gehobenen Stellen schweben bleibt, wo¬
durch ein falsches Profil vorgetäuscht wird. — Die Meyersche Einrichtung
vermeidet allerdings diese Verschiebungen durch die Adhäsion der Kette.
Der erste Einwand (reflektorische Störungen durch die Reizung der Ober¬
fläche) bleibt aber bestehen. — Durch Kokainisierung der Mundhöhle wird
gewiß die Empfindlichkeit aufgehoben; ob die Reflexe aber verschwinden,
weiß ich nicht. Inwieweit die Phonation bei kokainisiertem Ansatzrohr nor¬
mal bleibt, da manche Empfindungen ausgeschaltet sind, die vielleicht zur
Kontrolle der Bewegungen dienen, ist auch m. W. nicht systematisch unter¬
sucht worden; und die Möglichkeit einer Störung möchte ich nicht a priori
von der Hand weisen. Wenn ich einige Tropfen einer fünfprozentigen
Kokainlösung (wie ich sie z. B. zur Linderung der Schnupfensymptome ge¬
brauche) durch die Nase einnehme und den längs des Segels rinnenden
1) Eine Historik findet man bei Scheier (48). Von den vielen Mitteilungen dieses
um die Ausbildung der Röntgenuntersuchung besonders verdienten Forschers führe
ich nur die letzte an, die die Resultate seiner früheren Arbeiten zusammenfaßt und
erweitert.