Willkürliche Reaktionen auf verabredete Reizmomente.
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Kontraktion) nur das erste Glied, die Fortpflanzungszeit in den empfinden¬
den Nerven1). Wenigstens dürfen wir wohl annehmen, daß die Vorgänge
des Wahrnehmens und Wollens im Gehirn in ihrer Dauer nicht wesentlich
von der Art der getroffenen Hautstelle abhängen werden. Ich muß aber
dies als eine nicht vollständig erwiesene Annahme anerkennen.“ Dabei war
sich aber nun Helmholtz auch bereits über die Wichtigkeit einer gespannten
Aufmerksamkeit für die annähernde Gültigkeit dieser zuletzt genannten
Annahme völlig klar. Er fand die Reaktionszeit „bei laxer Aufmerksam¬
keit sehr unregelmäßig und lang, bei gespannter dagegen sehr regelmäßig“
(1. c.). Während man sich aber bei diesen früheren Versuchen mit einer un¬
gefähren Avisierung der V.-P. kurz vor dem Reiz begnügte, ließ sich diese
Regulierung des Reaktionsprozesses natürlich dadurch noch wirksamer ge¬
stalten, daß entweder vom Experimentator eine mechanische Vorrichtung2)
ausgelöst wurde, die zunächst ein Vorsignal und nach einer stets konstanten
Zwischenzeit das Reizmotiv einführte, oder daß die V.-P. wiederum selbst
einen Apparat durch eine leichte Bewegung in Gang setzte, der kurz dar¬
nach das Reizmotiv bewirkte. Der Zeitabstand des Vorsignales oder der
Selbstauslösung vom Reaktionsmotiv war nach subjektiven und objektiven
Kriterien möglichst günstig, zwischen 1 und 2 Sekunden, auszuwählen. Bei
der Selbstauslösung tritt allerdings zu den Impulsen der inneren Tätigkeit
des Vorbereitungsstadiums noch ein solcher zu einer äußeren Bewegung hinzu,
eine Mehrbelastung, die jedoch bei schwierigeren Vorbereitungsleistungen zu
speziellen Erkennungsakten usw. gegenüber der hierdurch erzielten Freiheit
nicht ins Gewicht fällt3).
1) Man könnte meinen, daß der nächstliegende Weg zur Beantwortung dieser
Frage nach der Leitungsgeschwindigkeit im sensorischen Nerven doch eigentlich darin
bestehe, daß man nach der S. 430 ausführlich behandelten Methode einfach die Zeitver¬
schiebung bei der Vergleichung der Zeitlagen jener beiden an verschiedenen Stellen
applizierten Hautreize ermittelt. Die exakte Feststellung dieser rein peripher bedingten
Zeitverschiebung ist jedoch zunächst schon durch die Tatsache der Zeitschwelle für
verschieden lokalisierte Reize des nämlichen Sinnesgebietes (s. S. 419), außerdem aber
vor allem auch noch durch die sonstigen psychologischen Nebeneinflüsse mindestens
eben so schwierig wie die Aufrechterhaltung konstanter psychologischer Bedingungen
bei Reaktionsversuchen, wie denn auch Helmholtz bei der oben genannten Überlegung
von der Ungenauigkeit der Auge- und Ohrmethode und ähnlicher Versuche ausging.
Dennoch muß unter sonst möglichst gleichen Auffassungsbedingungen ein geübter Be¬
obachter den Unterschied der Leitungszeit im sensorischen Nerven auch mit solchen
Versuchen direkt auffinden können.
2) So verwendete schon L. Lange (Neue Experimente über den Vorgang der ein¬
fachen Reaktion auf Sinneseindrücke, Wundts Phil. Stud. IV, 1888, S. 479) ein Kontakt¬
pendel, das jede Sekunde einen Kontakt schloß, der durch geeignete Einschaltung
weiterer Kontakte zuerst ein Glocken-Vorsignal und dann in Sekundenabstand den Haupt¬
reiz erfolgen ließ (S. 484). Erdmann und Dodge gaben bei Reaktionen auf tachisto-
skopisches Lesematerial, das mit dem S. 358 beschriebenen Apparat exponiert wurde, vor
dem Reiz zwei Glockenschläge im Abstand von 0,5 Sek., denen das Motiv im nämlichen
Takte nachfolgte (a. S. 357, A. 4 a. O. S. 108 u. S. 325). R. Bergemann (Reaktionen auf
Schall eindrücke nach der Methode der Häufigkeitskurven bearbeitet. Wundts Psychol.
Stud. I, 3. u. 4. 1906, S. 179) benützte wieder ein Kontaktpendel (s. S. 330, Fig. 21) mit
Kontakten für Vorsignal und Hauptreiz, wie es in verschiedenen Modellen auch bei
vielen neueren Versuchen beibehalten wurde.
3) Diese Selbstauslösung bewährte sich bei Reaktionen auf tachistoskopische
Expositionen von Cattell (Psychometrische Untersuchungen, in Wundts Phil. Stud.
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