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W. Wirt h, Psycliophysik.
Sobald man jedoch andere spezielle Nebeneinflüsse auf die optimale
Reaktionszeit untersuchen will und daher auf eine möglichste Konstanz
der Entwicklung des Impulses aus der Motiv Wahrnehmung bedacht sein
muß, gibt man der V.-P. jedesmal ungefähr gleich lang vor dem Reizmotiv
ein Vorsignal. An dieses schließt sich dann ein spezielles Vorbereitungs¬
stadium an, in welchem die Aufmerksamkeit auf die Reizlage und die Be¬
reitschaft zum Impuls gerade zu einem Maximum ansteigen kann, wie es
nur ganz kurze Zeit ohne Störung der richtigen Zuordnung jener beiden
Partialleistungen zu einander aufrecht erhalten bleiben kann. Diese Forde¬
rung eines konstanten Verlaufes von der Reizauffassung bis zum Impuls
gilt natürlich vor allem dann, wenn man mit solchen Versuchen die Ge¬
schwindigkeit der bei der Reaktion beteiligten Leitung der sensorischen
Nervenerregung im normalen Lebenszusammenhang bestimmen will, was eben
deshalb nur beim Menschen möglich ist. Dies ist bekanntlich das Problem,
um dessentwillen Helmholtz im Jahre 1850 überhaupt zum ersten Male
Reaktionsversuche ausgeführt hat1). Am Froschmuskelpräparat hatte, er die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit im motorischen Nerven aus der Differenz
der Latenzzeiten bei zwei vom Muskel verschieden weit entfernten Nerven¬
reizungen ermittelt2), wie es in jedem Lehrbuch der Physiologie ausführlich
geschildert zu werden pflegt. Dieser Versuch war dann auch in ganz analoger
Weise auf den lebenden Menschen übertragen worden, am genauesten nach
Helmholtz’ Vorversuchen von Baxt, der nach Eingipsung des Armes die
Muskeln des Daumenballens durch Reizungen des N. medianus entweder
am Handgelenk oder am Oberarm neben dem M. biceps zur Kontraktion
brachte3). Ebenso mußte sich aber nun beim reaktionsfähigen Menschen
auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im sensorischen Nerven aus der
Differenz der Zeiten von zwei Reaktionen auf Hautreize berechnen lassen
bei denen diese Reize verschieden weit vom Zentralorgan appliziert wurden4):
„Es wird einem Menschen ein ganz leichter elektrischer Schlag an irgend
einer beschränkten Hautstelle beigebracht, und derselbe ist angewiesen, wenn
er den Schlag fühlt, so schnell es ihm möglich ist, eine bestimmte Bewegung
mit der Hand oder den Zähnen auszuführen, durch welche der zeitmessende
Strom (vgl. unten) unterbrochen wird.....Wenn wir den Eindruck auf die
Empfindungsnerven von verschiedenen Hautstellen, dem Gehirn bald nahe,
bald entfernt, ausgehen lassen, so ändern wir von der ganzen Summe
(H. meint die ganze Reaktionszeit, bestehend aus der Zeit der sensorischen
Leitung, des nicht näher analysierten Prozesses von da bis zur zentromoto-
rischen Innervation und der motorischen Leitung bis zur registrierbaren
1) Über die Methode, kleinste Zeitteile zu messen, und ihre Anwendung für phy¬
siologische Zwecke. (Gelesen in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königs¬
berg am 13. Dez. 1850, abgedr. in den Königsb. naturw. Unterhalt. Bd. II, 2, S. 1) Helm¬
holtz, Wissenschaftliche Abhandlungen II, 1883, S. 862ff.
2) Literaturängabe II, 3. Abt. Garten, Elektrophysiologie, S. 481 (>r. 82j.
3) Mitteilung, betreffend Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Heizung in den motorischen Kerven des Menschen usw. Monatsber. der Akad. der Wiss.
zu Berlin 1867 S 228 (Helmholtz, Wissensch. Abh. II, 1883, S. 932). Bei dieser Mit¬
teilung, erwähnt Helmholtz in einer Anm. auch die Zeiten seiner eigenen Reaktionen
auf elektrische Hautreize aus früheren Versuchen.
4) a. A. 1 a. 0. (1850). (Wiss. Abh. II, S. 878.)