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W. Wirth, Psychophysik.
72. Allgemeine methodische Gesichtspunkte bei der Konstatierung psychischer
Symptome in den ganz oder teilweise unbewußt ausgelösten Lebensvorgängen.
Den symptomatischen Veränderungen mechanisierter* 1) Willkürhandlungen
sind aber ihrem ganzen Wesen nach offenbar die ebenso verursachten
Modifikationen des gewohnten Ablaufes automatischer Lebensprozesse nahe
verwandt. Bei diesen Prozessen können ja auch teilweise ebenfalls neue
Willkürimpulse auslösend oder verändernd eingreifen, während allerdings
andere, wie der Blutkreislauf, einer isolierten2) willkürlichen Beeinflussung
im allgemeinen völlig entzogen sind, so daß gewisse Veränderungen der¬
selben nur nach den nämlichen objektiven Induktionsregeln als von Bewußt¬
seinszuständen kausal abhängig zu erweisen sind, nach denen man eben
auch zwischen lauter außerpsychischen Vorgängen eine eindeutige Abhängig¬
keitsbeziehung wissenschaftlich abzuleiten pflegt. Wie schon S. 229 und
früher in der Einleitung hervorgehoben wurde, ist hierzu natürlich stets eine
möglichst genaue Kenntnis des jeweiligen Bewußtseinsverlaufes, und zwar
auch in seinen dunkleren Regionen vorauszusetzen, die jedoch hierbei wo¬
möglich nicht aus der stets störenden Analyse während der Registrierung
der Symptome selbst, sondern aus den allgemeinen Versuchsbedingungen3)
und den früheren Erfahrungen entnommen werden soll.
Hierbei sind die Zeitpunkte4 *) der Reizeinwirkungen wie bei rein physio¬
logischen Versuchen möglichst fehlerfrei zu registrieren, ebenso aber auch
der Eintritt etwaiger reproduktiv erzeugter Gemütszustände. Bei letzteren
gefährdet allerdings die eigene Reaktion der V.-P. unter Umständen die
Sprechbewegungen u. a. hat sich in neuerer Zeit vor allem auch die Graphologie
als ein besonderer Wissenszweig angeschlossen, der für die psychologische Symptomatik
ebenfalls von Wichtigkeit ist (vgl. E. Javal, die Physiologie des Lesens und Schreibens,
deutsch von Haas 1906). Ich erwähne hier nur die Schriftwage Kraepelins, durch
welche die Druckverhältnisse beim Schreiben untersucht werden können (Kraepelins
Psychol. Arbeiten, Bd. I, 1896, S. 20 und Ad. Groos, Untersuchungen über die Schrift
Gesunder und Geisteskranker, Ebda. II, 1899, S. 450). Vgl. außerdem die Literatur¬
angaben in Wundts Grundz. der Physiol. Psychol. Ill6, 1911, S. 584f.
1) Wundt, Grundzüge der Physiol. Psychologie III6 1911, S. 288.
2) Vgl. Exp. Anal, der Bew.-Phän. S. 47 und 347.
3) Seitdem 0. Vogt die Hypnose bei der Gefühlsanalyse verwendete (a. S. 446 A. 1
a. 0.), hat man sich ihrer insbesondere auch bei dem Studium der Ausdruckssymptome gern
bedient. Abgesehen von der normalen Veränderung des psychischen Zustandes im all¬
gemeinen können aber hierbei auch die speziellen Funktionen, auf denen die Ausdrucks¬
symptome beruhen, modifiziert sein. Dies gilt wohl vor allem auch für die vaso¬
motorischen Symptome, bei deren Untersuchung besonders E. Weber (a. S. 452,
A. 1 a. 0.) die Hypnose bevorzugt. Wie diese beim normalen Schlafe eigenartige sind,
so wird wohl auch die Hypnose ihre vasomotorischen Eigenheiten besitzen, welche
die Ergebnisse am Hypnotisierten »nicht ohne weiteres auf den Normalzustand über¬
tragen lassen.
4) Die fortlaufende Zeitmarkierung, z. B. mittelst der Baltzarschen Kontaktuhr,
muß wegen der kräftigen Wirkung aller Rhythmen auf die Ausdruckssymptome so ge¬
räuschlos als möglich sein. Man schließt daher am besten die in einem entfernten Raum
befindliche Uhr an einen Elektromagneten an, dem gegenüber man eine mit einer
Eisenplatte beklebte Aufnahmekapsel in einer den Anschlag der Platte am Magnet
verhindernden Entfernung montiert, die mit einem Mare y sehen Schreiber verbunden wird.
Auch das Kymographion ließ Wundt für solche Versuche mit möglichst geräuschlosem
Gange konstruieren. Die bei vielen anderen psychologischen Versuchen eingeführte
Isolierung der V.-P. in einem besonderen Raume ist allerdings hier bisher nicht üblich