Die psychologischen Symptome in der willkürlichen Bewegung und Ruhe. 453
laufe bei einer Bewußtseinsänderung oft nur unmerklich gering, und manchmal
läßt sie sich erst bei längerer Dauer der Abweichung des psychischen Lebens
von seiner Normallage konstatieren, wie z. B. eine organische Störung oder
Besserung nach längeren traurigen oder freudigen Stimmungenx). Aus
diesem unbegrenzten Gebiete der einfachen Beobachtung und des Experi¬
mentes, für das natürlich auch sämtliche physiologische und klinisch-dia¬
gnostische Methoden überhaupt in Betracht kommen, seien aber im folgenden
nur die wichtigsten der bisher in psychologischen Laboratorien gebräuchlichen
Untersuchungsarten genannt, bei denen die Rückwirkung eine ähnliche Un¬
mittelbarkeit, Schnelligkeit und klare Abhebung von einem vorher und dar¬
nach übereinstimmend auffindbaren Normalzustand aufweist, wie etwa der
äußere Effekt eines Willkürimpulses zu einer kurzdauernden Änderung der
ursprünglichen Haltung. Bildet doch diese Willkürtätigkeit auch hier, genau
wie bei der soeben skizzierten Anwendung der Reproduktionsmethode auf
die Gemütsbewegungen, den Idealfall der Erkennbarkeit eines eindeutigen
Zusammenhanges zwischen einer Änderung des Bewußtseins und des körper¬
lichen Zustandes, dessen genaues Studium auch für das Verständnis der
sog. unwillkürlichen triebartigen oder rein reflektorischen (nicht bewußt aus¬
gelösten) Äußerungen manche Gesichtspunkte beibringen kann.
69. Die ergographische Analyse von Maximalleistungen.
Was zunächst die Registrierung von Willkürleistungen anlangt, so liegt
es in der Natur ihrer psychologischen Entstehungsbedingungen, daß die Auf¬
zeichnung eines beliebigen einzelnen Effektes rein für sich betrachtet keinen
besonderen wissenschaftlichen Wert besitzt. Bildet doch dieser nur einen
Spezialfall aus einer unerschöpflichen Fülle von Kombinationsmöglichkeiten.
Auch wenn die konkreten variablen,Elemente der resultierenden Komplexe,
wie sie bei dem jeweiligen Stande der Selbstbeherrschung isoliert innerviert
werden könnten, nach den Methoden der speziellen Bewegungslehre analysiert
werden1 2), was bei jedem Studium spezieller psychologischer Symptome in
dem Ablauf einer Willkürhandlung geschehen sollte, bleibt natürlich immer
noch der bei gegebenem Widerstand von ihrer Innervation abhängige Kraft¬
aufwand im einzelnen unbestimmt. Hierbei werden sie also ähnlich wie bei der
Konstatierung der Erregung bestimmter Sinneselemente zunächst nur den
Dispositionen zu ganzen Kontinuen elementarer Innervationserlebnisse über¬
haupt eingeordnet. Erst die Unterordnung der „Willkür“ unter bestimmte Vor¬
schriften über den Zeitpunkt und den Ablauf der Bewegung im einzelnen, und
sei es auch nur die Wiederholung einer zufällig frei ausgeführten Bewegung
nach rein kinästhetischen Anhaltspunkten oder an der Hand sonstiger Er¬
fahrungen über den Bewegungseffekt, führen eine bestimmte Norm ein,
welche unter Voraussetzung einer bestimmten Vorbereitung ganz allgemein
für jede beliebige Bewegungsform gewisse Aussagen bezüglich der Präzision
dieser Unterordnung zu machen gestatten, ebenso wie es bei den Urteilen
durch ihre Beziehung auf gegebene Objekte möglich war. Nur zwei
1) Vgl. z. B. G. Dumas, La tristesse et la joie 1900, S. 279.
2) Dieses Handbuch II, 3. Abt. (Muskelphysiologie) III, S. 120 (0. Fischer, Methodik
der speziellen Bewegungslehre).