Volltext: Handbuch der physiologischen Methodik, Dritter Band, Zweite Hälfte: Zentrales Nervensytem, Psychophysik, Phonetik (3)

Die Messung von Gedächtnisleistungen an der Beurteilung neuer Vergleichsreize. 383 
ihre Grenze. Die bisherigen genauen Messungen erstreckten sich denn 
auch höchstens auf 1 bis 2 Minuten, während doch aus einzelnen Be¬ 
obachtungen bekannt ist, daß einfache Sinneseindrücke, wenn man sich 
ihrer überhaupt noch zu erinnern vermag, mit einer entsprechend ver¬ 
gröberten Schwelle über beliebig lange Zwischenzeiten hinweg verglichen 
werden können. Allerdings lassen sich bei dieser Methode andererseits 
wiederum leicht auch beliebig kleine Zeitintervalle zwischen N und V 
beiziehen und die untersuchten Intervalle so fein abstufen, als man will, da 
der einzelne Prüfungsakt selbst keine so lange Zeit erfordert wie bei kom¬ 
plexeren Gedächtnisleistungen. 
59. Das Gedächtnis für Wahrnehmungskomplexe. 
Die nächste Stufe der Gedächtnisleistung, bei der einzelne, nach 
mehreren Richtungen variable Objekte oder Simultankomplexe von solchen 
z. B. Fig. 29 (nach Mittenzwey) bzw. Reihen aus mehreren einfachen Sinnes¬ 
eindrücken bis zur beliebig späteren Darbietung eines Vergleichskomplexes ge¬ 
merkt werden, ist bisher noch nicht mittelst der Schwellen- und Fehlermethode 
geprüft worden. In Analogie zu dem Lernmaterial für die Methode des 
Auswendiglernens wurde vielmehr sogleich zur Einprägung ganzer Reihen 
von sukzessiv dargebotenen Komplexen übergegangen. Freilich liegt 
auch hierüber bisher nur die einzige Arbeit von F. Reuther vor, die ur¬ 
sprünglich einfach als Übertragung der S. 320 skizzierten Vergleichsmethode 
mit kurzdauernden optischen Komplexen auf das Reihengedächtnis gedacht 
war, aber von Reuther bald zu einer selbständigen, dem speziellen Zwecke 
angepaßten Methode entwickelt wurde. Um auch dem Material der Lern¬ 
versuche näher zu kommen, wurden nicht sinnlose optische Zeichen, sondern 
Ziffern in vierstelligen, allerdings sinnlosen Zahlen verwendet1). In dem 
Diaphragma eines dunklen Schirmes des Expositionsapparates traten nach¬ 
einander in gleichem Takte mehrere solcher Zahlen hervor, wobei im Ver¬ 
laufe der Untersuchung die Anzahl der Wiederholungen der ganzen Reihe, 
die Dauer und die Aufeinanderfolge der Expositionen jeder Zahl, die Reihen¬ 
länge, die, abgesehen von der speziellen Untersuchung ihrer Wirkung, 8 Glie¬ 
der umfaßte, und vor allem die Zeit des Behaltens zur Prüfung ihres Ein¬ 
flusses auf das Gedächtnis variiert wurden. Während hierbei nicht laut ge¬ 
lesen wurde, um im allgemeinen den relativen Anteil der optischen Kom¬ 
ponente an der Leistung möglichst zu erhöhen, kam in besonderen Ver¬ 
suchen zur Bestimmung des Typus der V.-P. nach der Cohnscheu Methode 
(vgl. unten § 62, a) auch wenigstens noch lautes Ablesen zur Anwendung. 
Nachdem Ebbinghaus (s. S. 393) in seinen erstmaligen Versuchen über das Reihen¬ 
gedächtnis überhaupt noch keinen besonderen Expositionsapparat benützt, sondern die 
zusammengestellten Silben einfach nacheinander abgelesen hatte, war bei G. E. Müller 
und Schumann (s. S. 393) dadurch bereits besser für eine wirklich sukzessive Sinnes- 
1) Die Gesichtspunkte für die Herstellung möglichst gleich schwieriger Reihen¬ 
glieder sind ähnliche wie die, welche im nächsten Paragraphen für die Reihen aus 
sinnlosen Silben zu erwähnen sind. Zahlen mit der 1 am Anfang und mit einer 0 
wurden vermieden, ebenso die natürliche Ziffernfolge 1, 2, 3 usw. und die Überein¬ 
stimmung von Ziffern in einer Zahl. Außerdem waren auch alle Tausender einer Reihe 
und die ersten und letzten Ziffern zweier aufeinanderfolgender Zahlen verschieden.
	        
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