Die Messung von Gedächtnisleistungen an der Beurteilung neuer Vergleichsreize. 379
Kapitel 14.
Die Messung von Gedächtnisleistungen an der Beurteilung
neuer Vergleichsreize.
58. Das Gedächtnis für einfache Sinneseindrücke.
1. Die Elemente der Methoden, mittelst deren der Einfluß der Vor¬
bereitung und der inhaltlichen Komplikationen auf die Leistung einzelner
Zeitpunkte, und zwar eventuell einer längeren Zeitstrecke, untersucht werden
kann, lassen sich aber nun weiterhin auch dazu verwenden, bei zwei zeit¬
lich getrennten Vergleichsobjekten oder ganzen Komplexen von solchen
die Wirkung der Zwischenzeit zu studieren. Da ein Vergleich unter
dieser Voraussetzung nur dadurch möglich wird, daß der frühere Tatbe¬
stand auch noch nachträglich vergegenwärtigt wird, nachdem die primäre
Phase des Inhaltes längst durch andere Phasen der nämlichen Stellen des
Wahrnehmungsfeldes abgelöst ist, so gehören solche Versuche offenbar zur
experimentellen Analyse der Gedächtniserscheinungen im allgemeinsten
Sinne. Hierzu bilden bereits die gewöhnlichen Vergleichsexperimente einen
völlig stetigen Übergang, bei denen die beiden Objekte nicht genau gleich¬
zeitig und unmittelbar benachbart sind und sich auch nicht, wie bei der
Beurteilung plötzlicher Veränderungen, als Ausfüllungen der nämlichen Stelle
unmittelbar folgen, sondern durch eine kleine Pause von wenigen Sekunden
getrennt sind, wie z. B. bei der Vergleichung sukzessiv gehobener Gewichte
u. dergl. Doch bleibt dabei natürlich das besondere Problem zu beant¬
worten, in welcher Beziehung die Veränderung der Leistung mit der
Zwischenzeit zu den unvermeidlichen Wandlungen steht, welche die Reprä¬
sentation des früheren Reizes erfährt, indem sie ihre subjektive Sicherheit
und anschauliche Frische unmittelbar nach der Sinnes Wahrnehmung immer
mehr verliert und je nach den Versuchsbedingungen schneller oder lang¬
samer, unstetiger oder allmählicher völlig aus dem Bewußtsein verschwindet,
so daß sich die V.-P. beim Auftreten des Vergleichsreizes erst in einer
„Reproduktion“ im engeren Sinne (vgl. S. 232) wieder an sie „erinnert“.
Daneben interessiert übrigens auch, wie die aktuelle Nachwirkung der pri¬
mären W akrnehmung ohne bestimmte logische Beziehung auf diese die
späteren Gedächtnisleistungen beeinflußt, wobei hinsichtlich ihres Vorteiles
oder Nachteiles im Vergleich zu anderen „Ausfüllungen der Zwischenzeit“
a priori nicht zu entscheiden ist1 4). Eine systematische Beantwortung solcher
1) Die Erinnerung an den früheren Vergleichsreiz darf aber nicht mit der psycho¬
logischen Reflexion auf sein mehr oder weniger lebhaftes „Gedächtnisbild“ verwechselt
werden, die eine ganz andere Einstellung bedeutet und, wie es von vornherein plausibel
erscheint und durch die experimentellen Ergebnisse bestätigt wurde (vgl. F. Angell [and
Harwood], Discrimination of clangs for different intervals of time. Am. Journ. of.
Psych. XI, 1, 1899, S. 67 u. XII, 1, 1900, S. 58), bei einer besonderen Anspannung der
Apperzeption in dieser Richtung für die Vergleichsleistung sogar nachteilig ist.