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W. Wirth, Psychophysik.
Auch wenn an die Erkennung eines einzelnen Eindruckes sich andere
Leistungen mit solcher Leichtigkeit und Sicherheit anschließen, wie beim
Lesen eines geläufigen Buchstaben, einer Ziffer, Note u. dgl., werden die
verschiedenen Vorbereitungen bei einer einzigen Elementarleistung dieser Art
nach der Reproduktionsmethode (also ohne Registrierung gewisser Eigen¬
tümlichkeiten der Wiedergabe) an dem Resultat nichts zu ändern vermögen.
Eine symptomatische Differenzierung wird höchstens erst dann möglich, wenn
die Unterschiede zwischen einzelnen dieser Symbole sich der Unterschieds¬
schwelle unter den jeweiligen Auffassungsbedingungen nähern. Sind aber
die Assoziationen zwischen dem Sinneseindruck, z. B. zwischen dem visuellen
Bilde eines Symboles und seiner Bedeutung oder einem sonstigen Vor¬
stellungsinhalte, noch so schwach, daß sich schon bei seiner isolierten, kon¬
zentrierten Auffassung Einflüsse der Vorbereitung auf die Reproduktion
geltend machen, so wären diese Einflüsse zunächst höchstens umgekehrt
dazu zu verwenden, um an ihnen die Assoziationsleistung zu „messen“,
nachdem man sich ein anderweitiges direkteres Kriterium für den Grad der
jeweiligen Vorbereitung verschafft hat.
6. Dagegen gewinnt auch schon die ohne besondere Genauigkeit voll¬
zogene Wiedergabe von Sinneseindrücken überhaupt oder geläufigen Sym¬
bolen in der zweiten Hauptstufe der Komplikation, bei komplexen
Hauptleistungen, als Element innerhalb des Ganzen symptomatische Be¬
deutung, da eben der Umfang der gesamten Neuauffassung, insbesondere
bei kurzdauernden Eindrücken, ein beschränkter ist. Es stellt also
wenigstens die Gesamtsumme aller überhaupt möglichen Reproduktionen
dieser Art jederzeit eine Grenzleistung dar, an der sich dann weiterhin
auch noch besondere Einflüsse der Vorbereitung geltend machen können.
Doch bestehen auch innerhalb des Gesamtumfanges der jeweiligen Neu¬
auffassung noch mannigfache Abstufungen des Zustandes der einzelnen
Unterakte, die bei der bloßen Angabe der Gesamtzahl oder Hauptart
aller Gegenstände nicht gesondert berücksichtigt werden. Sie treten aber
sofort zutage, wenn man über die einzelnen Elemente des aufgefaßten
Komplexes genauere Angaben verlangt, die der Unterschiedsschwelle
dieser Eindrücke in irgend einer Richtung nahe kommen. Einen -ge¬
naueren Überblick über den wahren Stand mehrfacher gleich¬
zeitiger Leistungen erlangt man also auch hierbei doch wiede¬
rum nur dadurch, daß man nicht die Wiedergabe mehrerer über¬
merklicher, sondern ebenmerklicher Tatbestände fordert, d. h.
also auf mehrere gleichzeitige (kurzdauernde) Reize bzw. Ver¬
änderungen die bekannten Maßmethoden zur Ermittelung von
Schwellen, Totalfehlern und ihren Streuungsmaßen anwendet.
Abgesehen von dem Einblick in etwaige Differenzierungen der Auffassung
innerhalb des Komplexes wird dadurch auch der Sinn jener Umfangs¬
bestimmungen erst völlig konkret veranschaulicht. Denn ähnlich wie z. B.
die S. 292 genannte Bestimmung der Grenzen der Empfindungskontinuen,
z. B. von Farbentönen oder Tonhöhen, ohne Angabe der Intensitäts¬
verhältnisse stets etwas Relatives in sich enthält und nur durch die Ab¬
leitung von absoluten Schwellen eindeutig und exakt ausfallen kann,
die nach diesen Grenzen zu ansteigen und zuletzt ins Unbegrenzte an-