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W. Wirth, Psychophysik.
gegebenen Reize dazu zu verwenden, die Elemente und Komplexe der
Sinneswahrnekmtmg als solche, sowie ihre Abhängigkeit von den Reizen und
von der Verfassung der Sinnesorgane zu studieren. Nachdem aber die
Versuchsanordnungen, welche die Wahrnehmungsinhalte bei dieser Analyse
im einzelnen exakt abstufen lassen, schon in den früheren Abschnitten über
die sinnesphysiologischen Methoden ausführlich behandelt sind, können wir
nunmehr sogleich zu den komplizierteren Anwendungen der Schwellen- und
Fehlermessung übergehen, bei denen jene Auffassungsbedingungen
variiert werden, so daß sie von dem Optimum bei der ungestörten Konzen¬
tration auf eine einzige Relation beliebig weit abweichen. Dies erreicht
man vor allem dadurch, daß besondere Einstellungen der Apperzeption in
der schon in § 4 geschilderten Weise vorgeschrieben und mehrere gleich¬
zeitige oder aufeinanderfolgende Reize in einen einzigen Versuch einbezogen
werden.
Auch bei jener elementareren Analyse der Wahrnehmungsinhalte als
solcher ist das Bewußtsein natürlich niemals auf die jeweils untersuchten
sinnlichen Qualitäten beschränkt, auch pflegen bei dem Studium einzelner
Empfindungselemente im allgemeinen nicht einmal innerhalb des nämlichen
Sinnesgebietes andere äußere Reize völlig zu fehlen. Doch sucht man
wenigstens überall da, wo nicht gerade eine Wechselwirkung zwischen
Sinneserregungen, z. B. der sog. Simultankontrast zwischen benachbarten
Licht- oder Farbenreizungen, erforscht werden soll, alle irgendwie auf¬
fälligen, störenden Nebeneindrücke zu vermeiden. Auch läßt man die V.-P.
hierbei ihre Aufmerksamkeit jederzeit ausdrücklich dem Gegenstände der
jeweiligen Messung zuwenden, was bei einer nicht zu großen Extension der
zu beurteilenden Gegenstände als „Konzentration“ bezeichnet wird. Wenn
die Inhalte allerdings, wie z. B. bei der Untersuchung der Raumauffassung
oder der Klangwahrnehmung, bereits selbst mehr oder weniger ausgedehnt
sind, muß die Aufmerksamkeit auch schon zu der bestmöglichen Leistung in
besonderer Weise „verteilt“ werden. Auch können natürlich mitunter schon
zur Analyse der Wahrnehmungsinhalte als solcher unnatürlichere Spaltungen
der Aufmerksamkeit erforderlich werden, z. B. bei der Prüfung der Farben-
und Raumwahrnehmung in der Peripherie des Sehfeldes, wo eine konstante
Abbildung der Objekte auf bestimmten Punkten des subjektiven Sehfeldes
nur durch die gleichzeitige Beachtung eines Fixationsobjektes neben der
Beobachtung im „indirekten“ Sehen aufrecht zu erhalten ist. Im folgenden
sollen aber nun solche besondere Auffassungsbedingungen, die von anderen
gleichzeitigen Inhalten und von der Apperzeptionstätigkeit abhängen, nicht
zur Analyse der Sinneswahrnehmung als solcher, sondern um ihrer selbst
willen eingeführt werden, und die jeweilige Erkenntnisleistung der V.-P. soll
hierbei, wie schon in § 11 S. 25 fl*, erläutert wurde, nur als „Symptom“ dieser
systematisch variierten Bewußtseinslagen ins Auge gefaßt werden.
2. Zu einer methodischen Analyse wird man nun "cliese Erschwerung
der Auffassung objektiver Reizverhältnisse, auf die wir uns bei der Unter¬
suchung der höheren psychischen Prozesse nach der Reproduktionsmethode
im wesentlichen beschränken wollten, in gewissen Hauptstufen zunehmen
lassen, die mit besonderen Versuchsanordnungen und Instruktionen der V.-P.
jeweils für sich allein vorzunehmen sind. Auf einer untersten Stufe der