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W. Wirth, Psychophysik.
gleichartige Wahrnehmungen besonders „vergleichbar“ erscheinen. Denn es
liegt im Wesen (der durch Willkürimpulse nur teilweise regulierbaren Apper¬
zeption von Relationen, daß sie sich stets auf die Beziehung zwischen um¬
fassenderen Gebieten des jeweiligen Bewußtseinsbestandes erstreckt und
von der Umgebung auch bei angestrengtester Konzentration der Aufmerk¬
samkeit niemals völlig zu „abstrahieren“ vermag. Dies fällt uns nur bei
tatsächlich gleicher „Umgebung“ der Vergleichsobjekte nicht so auf, weil
hier eine resultierende Beziehung der Verschiedenheit durch die gleichen
Elemente des Hintergrundes in ihrem entscheidenden Charakter nicht beein¬
flußt wird. Sobald jedoch beiderseits verschiedenartige und auffällige Zu¬
sätze mit den eigentlich zu vergleichenden Gegenständen untrennbar und
enge verbunden sind, ist der Vergleichsprozeß zunächst einmal schon als
solcher erschwert; außerdem erwecken aber nun objektiv gleiche Quantitäten
der eigentlichen Vergleichs Objekte nicht mehr das Bewußtsein der Gleich¬
heit, und der „Fehler“ der Äquivalente entspricht der Einmischung der
hier beiderseits verschiedenen Umgebungsbestandteile in die Relations¬
auffassung. Willkürliche Einstellungen der Apperzeption in Richtung einer
größeren Konzentration oder Ausweitung, die durch geeignete Variationen
der Objekte unterstützt werden können, pflegen dabei den Fehler und die
im allgemeinen ebenfalls veränderte Unterschiedsschwelle der Hauptinhalte
naturgemäß mehr oder weniger zu beeinflussen. Besonders lehrreiche
Beispiele dieser Art sind viele der bekannten geometrisch-optischen
Täuschungen, bei denen an zwei Hauptlinien oder Flächen, die eigentlich
allein zu vergleichen sind, beiderseits verschiedene Zusätze irgend welcher
Art angebracht werden.
In diesen Fällen lassen sich aber das Hauptobjekt und seine Zusätze
als relativ selbständige Elemente doch wenigstens innerhalb der Gesamt¬
figur selbst von einander klar und deutlich unterscheiden, weshalb auch zum
mindesten die Gleichartigkeit des N und V in beiden Vergleichsfiguren ohne
weiteres feststellbar ist. In anderen Fällen stehen dagegen die eigentlich
zu vergleichenden Inhalte, die natürlich zur Ableitung von Äquivalenzwerten
stets gleichartig sein müssen, innerhalb der beiden Gesamtwahrnehmungen
den beiderseits verschiedenen Momenten nicht in dieser klaren Selbständig¬
keit gegenüber, wenn nämlich nur eine Vergleichbarkeit der Ge¬
samtinhalte hinsichtlich eines „Merkmales“ vorliegt, wobei dann
erst eine von den anderen Merkmalen „abstrahierende“ Beachtung die
Erkennung der speziellen Beziehung in dieser „Hinsicht“ herbeiführen kann.
In der Naturwissenschaft kommt dieser psychologisch besonders interessante
Fall z. B. bei der sog. heterochromen Photometrie vor, falls diese nicht
nach indirekten Kriterien verfährt, wie die Flimmerphotometrie l) u. ä., sondern
die verschiedenfarbigen Lichter, z. B. Rot und Grün, unmittelbar miteinander
speziell hinsichtlich ihrer Helligkeit vergleicht. Wenn jemand nicht
imstande ist, das in beiden Lichtempfindungen allein vergleichbare „Merk¬
mal“ der Helligkeit möglichst allein für sich zu beachten, also vom „Farben¬
ton“ zu abstrahieren, erscheinen ihm beide konkreten Eindrücke geradezu
als „völlig unvergleichbar“ oder „disparat“, weil eben unter allen denkbaren
1) Vgl. Bd. Ill, 2. Abt., Sinnesphysiol. II, S. 33ff.