Die Bestimmung von Reiz- und Veränderungsschwellen.
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Möglichkeit einer gelegentlichen Verfehlung des Nullversuches darauf hin,
daß von der bloßen Latenz einer objektiven Reiz Wirkung unterhalb eines
bestimmten Minimums zunächst wenigstens ganz im allgemeinen eigentliche
Fehler der Urteilsnorm zu unterscheiden sind, die natürlich auch in der
entgegengesetzten Richtung liegen können, wenn z. B. eine bewußte über¬
merkliche Veränderung, die tatsächlich eine adäquate Reiz Wirkung darstellt,
aus irgend welchen Gründen, z. B. nach früheren Enttäuschungen des Be¬
obachters bezüglich der Zuverlässigkeit seiner Wahrnehmungen, für subjektiv
gehalten wird. Es fragt sich nun, ob durch irgend ein Verfahren auch ein
Fehlerhauptwert dieser Art ähnlich aus der physikalischen Reizschwelle
herausgelöst werden könne, wie der Totalfehler bei der Vergleichung zweier
übermerklicher Reize. Sehen wir auch hier zunächst für einen Moment von
der Tatsache der Schwelle ab, so würde zu einer bestimmten Definition
eines empirischen Maßes dieses Fehlers offenbar wieder vorausgesetzt sein,
daß wir uns auf seiten der zu beurteilenden Wahrnehmungszustände genaue
Äquivalente zum anschaulichen Inhalte des Begriffes herstellbar denken, den
wir uns bei der Wirksamkeit eines bestimmten „konstanten Fehlers“ der
Urteilsnorm von dem speziellen Zustand des Wahrnehmungsfeldes bei
völliger Reizlosigkeit machen. Dieser Inhalt der begrifflichen Norm müßte
also bei dem Übergang von einem (negativen) Fehler der vermeintlichen
objektiven Nulllage, mit dem Effekte der Objektivierung eines subjektiven
Eindruckes, zu dem entgegengesetzten (positiven), also zu einer Subjekti-
vierung eines bewußten Korrelates des äußeren Reizes, durch die korrekte
Vorstellung von dem wirklichen Korrelate der Reizlosigkeit unter den augen¬
blicklichen, hier als konstant betrachteten psychophysischen Bedingungen
hindurchgehen. Der jeweilige „Fehler“ aber entspräche dem Abstand des
augenblicklich gültigen Äquivalentes von der objektiven Nulllage.1) Diese
1) Bei der Einschränkung des Begriffes der „wahren“ Reizschwelle auf den Fall,
daß das Wahrnehmungsfeld von inneren Erregungen vollständig frei ist, gleichgültig,
ob diese Erregungen von der anschaulichen Begriffsnorm der augenblicklichen Rull¬
lage aus wirklich als positive Vorgänge erscheinen oder nicht, würde die ebenmerkliche
Erhöhung einer bereits von der subjektiven Rulllage verschiedenen Empfindung psycho¬
logisch bereits eine „innere“ Unterschiedsschwelle zwischen zwei übermerklichen
Empfindungen bedeuten und daher einer anderen Stelle in der psychophysischen Ab-
hängigkeitsfunktion zwischen Reiz und ebenmerklichem Empfindungszuwachs entsprechen.
So weit man nun die „wahre“ Reizschwelle in dem soeben bezeichneten Sinne, d. h. den
Reiz, der bei rein objektiver Bedingtheit der Empfindung ebenmerklich wäre, trotz
solcher subjektiver Zuthäten angeben will, ist man im allgemeinen auf sehr prekäre
Extrapolationen von Funktionen angewiesen, die man bezüglich der Unterschieds¬
schwelle bei etwas höheren Intensitätsstufen abgeleitet hat, bei denen man den Anteil
der eventuell auch hier unvermeidlichen Eigenerregung relativ immer geringer veran¬
schlagen bzw. vollständig vernachlässigen kann. Mittelst einer Verallgemeinerung der
bei höheren Stufen gefundenen Abhängigkeitsbeziehung zwischen Reiz und Schwelle
fais welche natürlich allein schon wegen der Tatsache der Reizschwelle nicht einfach
das Web ersehe Gesetz in Frage kommen könnte), hat man in der Tat schon ver¬
sucht*), die den subjektiven Erregungen äquivalente Reizwirkung aus der Erhöhung
der tatsächlich beobachteten Reizschwelle über jene Extrapolation hinaus abzuschätzen.
*) Helmholtz, Die Störungen der Wahrnehmung kleinster Helligkeitsunterschiede
durch das Eigenlicht der Retzhaut. Zeitschr. f. Psychol, u. Phys. d. S. I, 1890, S. 5.
Physiologische Optik. 2. Aufl. 1896, S. 415.