I.
Das zentrale Nervensystem der warmblütigen Tiere
von
Wilhelm Trendelenburg in Freiburg i. B.
(Mit 53 Figuren.)
A. Vorbemerkungen.
„Tout, dans les recherches expérimentales, dépend de la méthode; car
c’est la méthode qui donne les résultats.“ Diese Worte, mit denenFlourens 92)
die Darstellung der allgemeinen Grundsätze seiner Methoden einleitet, haben
auch heutzutage noch vollste Gültigkeit, und nicht zum mindesten gerade
in dem Gebiet, zu dessen wissenschaftlicher Erschließung Flourens so be¬
deutenden Anstoß gab, dem Studium der Funktionen des zentralen Nerven¬
systems. Gewiß wird auch hier die Art der Fragestellung von entschei¬
dendem Einfluß auf die Ergebnisse sein; oft aber zeigte sich, daß Fragen,
die seit Beginn der experimentellen Untersuchung des Nervensystems im
Vordergründe standen, lange fruchtlos hin- und hergewendet wurden, bis
die geeignete Methodik gefunden war. So werden gewiß auch in Zukunft
weitere Aufschlüsse von neuen Fragestellungen zu erwarten sein, mehr aber
vielleicht noch von einer planmäßigen Fortführung der Methodik, die ja
allerdings selbst wieder zu neuen Fragen führt.
Als Ziel der methodischen Bestrebungen in dem hier in Betracht
kommenden Gebiet der Experimentalphysiologie kann im allgemeinen das
bezeichnet werden, die Funktionen des Zentralnervensystems zu erkennen,
festzustellen, welche Teile an bestimmten Leistungen beteiligt sind, in welcher
Weise die einzelnen, sich morphologisch gegeneinander abgliedernden Teile
Zusammenarbeiten und voneinander abhängen. Im wesentlichen stehen uns
bei diesen Bestrebungen nur zwei Methoden zur Verfügung, die sich gegen¬
seitig ergänzen: die Methode, durch Reizung die Tätigkeit eines Teils zu
steigern und aus dem Erfolg einen Schluß auf die normale Bedeutung zu
ziehen, und die Methode, durch Ausschaltung seine Tätigkeit zu vernichten
und aus den Ausfallerscheinungen wiederum das normale Geschehen zu er¬
mitteln. Es ist klar, daß die beiden Arten von Eingriffen frei von unbeab¬
sichtigten Nebenwirkungen sein müssen; bei der Reizung darf keine Zer¬
störung mitspielen, und bei der funktionellen Ausschaltung darf nicht gleich¬
zeitig ein Reiz für die stehenbleibenden Abschnitte gesetzt werden. Auch
müssen Fernwirkungen auf nicht direkt an den Eingriffen beteiligte Gegenden
vermieden sein. Streng genommen würde es deshalb notwendig sein, an
Tigerstedt, Handb. d. phys. Methodik III, 4. 1