Volltext: Physiologie der Grosshirnrinde (2)

Methoden zur Bestimmung der persönlichen Gleichung. Vorstellungszeit. 277 
welchem sie abgehoben wurde, zu zeichnen Zeit hatte, giebt nun die 
fteactionszeit an, und zwar, da die Feder hundert Schwingungen in 
der Secunde macht, gleich in Hunderttheilen von Secunden. Es 
lassen sich natürlich noch Tausendstel von Secunden schätzen. 
IV. Vorstellungs-, Unterscheidungs- und Willenszeit. 
Baxt1 hat unter Leitung von Helmholtz Versuche darüber an¬ 
gestellt, wie lange ein Bild im optischen Apparat des Auges wirken 
muss, wenn es zu einer richtigen Vorstellung führen soll. 
Da bei den kurzen Zeiträumen, mit denen man es hier zu thun 
hat, das positive Nachbild bei der Perception wesentlich mit bethei¬ 
ligt wäre, so muss dasselbe bei diesen Messungen weggeschafft wer¬ 
den; es geschieht dies dadurch, dass das Netzhautbild des zu erken¬ 
nenden Objectes im Moment seines Verschwindens durch das eines 
sehr intensiven gleichförmig hellen Feldes ersetzt wird. Die Zeit¬ 
dauer, während welcher unter diesen Umständen das Netzhautbild 
eines Objectes auf der Netzhaut ruhen muss, damit eine Vorstellung 
von diesem Objecte zu Stande kommen kann, wollen wir Vorstel¬ 
lungszeit nennen. Es soll damit aber nicht gesagt sein, dass dies die 
Zeit ist, welche zur Entwickelung der Vorstellung dieses Objectes 
nöthig ist, von dieser Zeit erfahren wir vielmehr durch die vorliegen¬ 
den Versuche nichts. 
Baxt experimentirte an Buchstaben, Schriftproben und Abbildun¬ 
gen mehr oder weniger complicirter Curven (LissAJOu’schen Schwin- 
gungscurven) und fand, dass die Vorstellungszeit um so grösser ist, 
je complicirter das Object ist, das erkannt werden sollte, und dass 
dieselbe innerhalb gewisser Grenzen unabhängig ist von der Intensität 
des Netzhautbildes. Grössere Objecte werden in kürzerer Zeit er¬ 
kannt als kleinere. 
Aehnliche Versuche, nur unter viel complicirteren Bedingungen, 
deshalb weniger zu einem Schluss berechtigend, hatte schon früher 
Sagot2 angestellt. 
Versuche anderer Art wurden von Donders und seinen Schü¬ 
lern3, sowie in neuester Zeit gemeinschaftlich von Kries und Auer- 
1 Helmholtz in den Monatsber. d. Berliner Acad. Juni 1871 und Baxt, Ueber 
die Zeit, welche nöthig ist, damit ein Gesichtseindruck zum Bewusstsein kommt, und 
über die Grösse der bewussten Wahrnehmung bei einem Gesichtseindruck von gegebe¬ 
ner Dauer. Arch. f. d. ges. Physiol. IV. 
2 Sagot , Quelques recherches sur la rapidité des sensations et la promptitude 
les opérations de l’esprit. Nach Canstatt’s Jahresber.'f. Physiol. (Lit. 1853.) S. 222. 
. 3 de Jaager, Over den physiologischen tyd der psychische processen. Inaug.- 
Wssert. Utrecht 1865: Donders, Schnelligkeit psychischer Processe. Arch. f. Anat. 
‘•Physiol. 1868.
	        
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