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Ueber Züchtung neuer Getreiderassen
mittelst künstlicher Kreuzung.
Kritisch-historische Betrachtungen.
Von Dr. Erich Tschermak
Privatdocent an der Hochschule für Bodencultur in Wien.
Durch die Erneuerung der Mendel’schen Lehre von der
gesetzmässigen Werthigkeit der Merkmale erscheint die Züchtung
neuer constanter Pflanzenformen mittelst künstlicher Kreuzung
auf eine neue, rationelle Basis gestellt. Bei Beachtung jener
Grundsätze gestaltet sich die willkürliche Combinirung bestimmter
Eigenschaften von verschiedenen Elternsorten wesentlich sicherer
und einfacher, als bei dem rein empirischen Kreuzungs- und
Selectionsverfahren. Die MendePsche Lehre und ihr neuerer
Ausbau durch die Arbeiten von de Vries, Gorrens und mir
soll hier nicht in extenso wiederholt werden.1) Dieselbe hat aller¬
dings leider nicht allenthalben eine ganz zutreffende Wiedergabe
und Würdigung gefunden; in einer solchen müsste doch das
selbständige Verhalten der Merkmale, also die Bildung neuer,
theilweise oder durchwegs constanter Merkmalscombinationen
oder Zwischenformen zwischen den Eltern als punctum saliens
hervorgehoben werden. Waren meine bisherigen Studien an
Erbsen und Bohnen wesentlich der Erneuerung und Schaffung
der unentbehrlichen theoretischen Voraussetzungen gewidmet, so
sei im Folgenden die Vorarbeit zum Versuche einer praktischen
Verwerthung jener wissenschaftlichen Lehren, und zwar an ver-
') Das Nähere siehe: „Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum,’’
Zeitschrift für das landwirtschaftliche Versuchswesen in Oesterreich. 5. Heft,
1900 und „Weitere Beiträge über Verschiedenwertbigkeit der Merkmale bei Kreu¬
zung von Erbsen und Bohnen”. Ebenda 6. Heft, 1901.
Zeitschr. f. d. landw. Versuchswesen i. Oesterr. 1901.
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