392
Funke, Tastsinn etc. 4. Cap. Der Ortssinn der Haut.
zur Leerlassung eines oder mehrerer Vorstellungsfelder zwischen den
ausgefüllten bilden. Nur in den seltenen Fällen, wo die Seele ge¬
lernt hat, die minimale Differenz der Raumwerth e zweier aneinander¬
grenzender Emptindungskreise aufzufassen, kann ein freier Kreis
zur Wahrnehmung einer Lücke genügen, in allen anderen Fällen,
unter gewöhnlichen Verhältnissen auf der ganzen Hautoberfläche, sind
dazu mehrere erforderlich, an manchen Stellen, wie der durch Lage und
Unbeweglichkeit von jeder activen Uebung ausgeschlossenen Rücken¬
haut, eine sehr grosse Anzahl. Wie einfach erklärt diese Anschau¬
ung die Verfeinerung des Ortssinnes durch Uebung! Es ist dieselbe
ein Analogon der in allen Sinnesgebieten bewährten Verfeinerung des
Auffassungsvermögens für Qualitätsdifferenzen z. B. Farbennüancen,
Tonhöhen, durch Uebung. Wie bei dem Musiker sich das Unter¬
scheidungsvermögen von Tonhöhen bis zu einer ebenfalls durch ana¬
tomische Verhältnisse abgesteckten Grenze, d. h. bis zu derjenigen
Höhendifferenz, welche dem Stimmungsunterschied zweier benach¬
barter CoRTi’scher Zähne entspricht, verschärfen kann, so kann hier
das Auffassungsvermögen bis zu dem durch die anatomische Ab¬
grenzung der Empfindungskreise gegebenen Extrem, d. i. bis zum
Erkennen des Raumwerthsunterschiedes zweier benachbarter Kreise
verfeinert werden. Daraus erklärt sich nicht allein die Verfeinerung
des Ortssinnes an einer bestimmten Hautprovinz durch Uebung, wie
sie aus Volkmann’s Versuchen sich ergiebt, sondern auch die grössere
Feinheit an allen Theilen, welche durch Lage und Beweglichkeit zu
activen Tastoperationen am geeignetsten sind und zu solchen am
häufigsten gebraucht werden; daraus erklärt sich auch die in Vier-
ordt’s Gesetz ausgedrückte Zunahme der Feinheit der verschiedenen
Hautpunkte eines Gliedes mit dem Abstand von der Drehungsachse,
d. i. mit dem Umfang der Excursionen, welche ein Puükt bei den
Bewegungen* des Gliedes ausführt, denn, je beweglicher ein Theil,
desto mehr ist ihm Gelegenheit zur Berührung mit Aussendingen
(oder anderen Theilen des Tastorgans), und somit der Seele Veran¬
lassung gegeben, ihre Aufmerksamkeit den von ihm ausgehenden
Ortsvorstellungen und deren successiven Veränderungen bei der Wan¬
derung der Eindrücke auf der bewegten Fläche zuzuwenden.
Aus vorstehender Erörterung ergiebt sich die wichtige Folgerung,
dass die kleinste wahrnehmbare D istanz durchaus nicht
ein directes Maass für den Durchmesser der Empfin¬
dungskreise ist. Allerdings kann man auch das durch die kleinste
wahrnehmbare Distanz umschriebene Hautgebiet als eine elementare
Grösse, als eine physiologische Einheit für den Raumsinn auffassen