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Utteraturbericht.
grifflichen, aber vorzugsweise mit psych olo gisch en Analysen zu thun,
von denen die meisten durch Sorgfalt, Schärfe, Lebhaftigkeit ausgezeichnet
sind. Von den vielen zutreffenden und bemerkenswerten Gedanken, die
in einzelnen auftreten, konnte hier kaum eine Vorstellung gegeben werden.
Wir müssen uns an die Grundzüge halten. Was nun einer daran und
an der Methode des Verfassers schätzen möge, wird davon abhängen,
wie er selber etwa über diese und ähnliche Gegenstände gedacht hat,
zu denken gewohnt ist, und wieviel er folglich sich davon assimilieren
kann; in welcher Hinsicht ich mich persönlich als nicht wohl vorbereitet
bekennen mufs. Weder an den Begriffen des Sollens, noch an Egoismus
und Altruismus ist mir anders gelegen, als dafs sie, gehörig definiert, für
Wissenschaft von Thatsachen fruchtbar gemacht werden. Und diese
Behandlung als möglicher Elemente eines begrifflichen Systems mufs
strenger, wie ich meine, als hier geschehen, von jeder Untersuchung ihrer
wirklichen Geltung, sei es in populärem oder litterarischem Sprach¬
gebrauch, wie auch ihres psychologischen Ursprunges und Inhaltes
unterschieden werden. Der Verfasser nennt sein Verfahren ein teilweise
spekulatives (pag. IV). Dies ist eine gefährliche Bezeichnung. Die
Erörterungen über das Sollen und mehrere in den anderen Kapiteln
scheinen mir allerdings zu jenen Spekulationen zu gehören, die zwar
dem, der sie denkt oder mitdenkt, förderlich sein mögen, für die
Erkenntnis der wahren Zusammenhänge aber so wenig Gutes bedeuten,
wie die Spekulationen der Börse für den Volkswohlstand. Ja, wenn es
sich um Definitionen handelte, und der Verfasser erklärte, ein so viel¬
deutiges Wort nur in einem bestimmt umschriebenen Sinne anwenden
zu wollen. Dergleichen läfst aber nichts aus diesen Subtilitäten sich
herausklauben.
Die Begriffe ,Verdienst1 und ,Schuld' scheint mir der Verfasser trotz
seiner kritischen Akribie ziemlich unbesehen aufzunehmen, und gerade
hier, wo seine Argumentationen vielleicht am gewandtesten sich bewegen,
scheinen sie mir auf den schwächsten Füfsen zu stehen. Eine Unter¬
suchung des Thatbestandes, wie über V erdienst und Schuld gedacht
worden ist, gedacht zu werden pflegt, und warum so, würde ich als
belangreich annehmen und begleiten. Dazu sind aber nur einige Ansätze
vorhanden. Bei rein wissenschaftlicher Ansicht der menschlichen Hand¬
lungen selbst kann ich diesen Begriffen keine Gültigkeit belassen. Der
Mensch ist nicht verantwortlich, sondern er wird verantwortlich ge¬
macht, und dieses Machen ist nicht des Philosophen Sache; Verdienst
wird ihm ,beigemessen1, Schuld wird ihm ,gegeben1, seine Thaten
werden ihm ,zugerechnet1 — das alles leiste, wer zum Richter berufen
ist oder dazu sich berufen fühlt. — Wissenschaftliche Psychologie und
Ethik hat hingegen zwar alle Ursache, die Einheit des Menschen zu
behaupten, daher den einzelnen Menschen als Urheber seiner Handlungen,
mit gröfserer oder geringerer Klarheit Wissenden und Wollenden zu
betrachten. Wie man aber das Ich auflösen und zugleich von Verdienst
und Schuld als von Thatsachen sprechen kann, verstehe ich nicht; und
dies thut der Verfasser, wie mir scheint. Verdienst setzt nach ihm Ver¬
suchung voraus, die Schuld bedeutet; Schuld Versuchung zum Guten