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Litteraturberichl.
schwebt. Rücken die primären Töne noch näher zusammen, so ver¬
nehme ich zuletzt natürlich nur einen und diesen schwebend. Die physio¬
logische Erklärung ergibt sich aus dem Prinzip der specifischen Energien
in Verbindung mit dem obenerwähnten Hilfsprinzip der Accommodation.
Zuletzt handelt dieser Paragraph von der Zuteilung der Schwebungen in der
Auffassung an das Ganze oder bestimmte Teile eines Klanges; speciell
von der Zuteilung an den tieferen Ton bei den Schwebungen verstimmter
Konsonanzen h : 1, wo h nur wenig von einer ganzen Zahl differiert
(Bosanquet).
Die Versuche, Geräusche vollständig auf Töne zurückzuführen (es
werden in § 28 drei solche Auffassungen unterschieden), scheinen mir
viel Wahres zu enthalten, aber nicht allgemein durchführbar; wonach
auch ein besondres Organ im Ohr für den nicht redueierbaren geräuschigen
Erdenrest vorauszusetzen bliebe.
Bezüglich des Klangfarbenbegriffes endlich mufs die Zurückführung
auf die Teiltöne, Helmholtz’ bewunderungswürdige Theorie, als ausge¬
macht gelten; sie bedarf nur gewisser psychologischer Ergänzungen. Zu¬
nächst muls auch den einfachen Tönen eine Farbe zuerkannt werden, wenn
das Klang-Ganze eine solche besitzen soll. Die tiefen sind dunkler, die hohen
heller und eben dadurch wird ein Klang um so heller, je mehr und je
höhere Obertöne hinzukommen. Worin besteht nun aber die Tonfarbe
selbst? Sie ist nicht, wie ich dies früher versuchte, mit Tongefühl zu
identifizieren. Sie löst sich auf in die drei Momente der Tonhöhe, Ton¬
stärke und Tongröfse. Die Prädikate, womit wir die Farbe von Tönen
und infolgedessen von Klängen kennzeichnen, beziehen sich auf diese drei
Momente zusammen, bald mehr auf dieses, bald mehr auf jenes. Ton-
und Klangfarbe ist also nicht ein Moment neben der Stärke und der
Höhe. Wollte man ein solches anführen, so wäre nur die Gröfse (die Quasi-
Ausdehnung) zu nennen, welche aber das, was man gemeinhin unter die
Klangfarbe rechnet, nicht erschöpft.
Derselbe Zug der Auffassung, der bereits in den drei vorangehenden
Paragraphen mehrfach berührt wurde, macht sich hier geltend, dafs wir
einem unanalysierten Ganzen in gewissem Grade Eigenschaften seiner
Teile zuschreiben. Es ist eben jedem seiner Teile um so ähnlicher, je
intensiver er darin enthalten ist. (Diese Prädikation ist natürlich nicht
die Folge einer Vergleichung, einer Wahrnehmung der Ähnlichkeit, sondern
eine Folge der Ähnlichkeit selbst. Wir subsumieren das Ganze unter
denselben Begriff, unter den wir ffüher das für sich wahrgenommene
Element subsumierten.) Daraiif reduziert sich die Chemie der Empfin¬
dungen; nicht entstehen neue Inhalte, weder ein mittlerer, noch gar eine
neue Gattung.
Von hier aus lassen sich auch die einzelnen HELMHOLTZSchen Regeln
ableiten. Es folgt aber, dafs nicht blofs die relative sondern auch die abso¬
lute Höhe der Teiltöne und darunter vor allem die des Grundtones selbst
von Einflufs auf die Klangfarbe sein mufs; was sich u. a. auch an der
(nur berührten) Vokaltheorie bestätigt.
Die Anwendung derselben Prinzipien auf die Klangmischungen leitet
schliefslich noch zu der Frage über, auf welchem Wege wir in einer