Wir kommen von fernher,
Wir wandern und schreiten
Von Völkern zu Völkern,
Von Zeiten zu Zeiten;
Wir suchen auf Erden ein bleibendes Haus.
(Schiller, Huldigung der Künste)
ANTON
GRAFF
Die Geschichte weiss selten nur von glücklichen Künstlern zu erzählen. Wir
lesen oft von mühsamem Ringen, durch das der Einzelne seine Kenntnisse erworben,
von harten Kämpfen ums Dasein, die ihn in seiner Entwickelung gehemmt, von
Misserfolgen, die sein Leben verbittert und geringer Anerkennung, die sein Streben
erschwert haben. Pflegt uns doch die Grösse eines Mannes oft genug erst nach
seinem Tode um so mehr zum Bewusstsein zu kommen, je schwerer es ihm
geworden ist, das Ziel seines Lebens zu verfolgen. Die Lebensgeschichte Anton
Graffs kennt derartige Fügungen nicht. Er war ein vom Schicksal äusserlich be-
günstigter, nicht nur begnadeter Künstler, der am Abende seines Lebens, als er sein
Tagewerk von beinahe fünfzig Jahren überschauen konnte, von jener Zeit an, wo
er in der kursächsischen Residenzstadt eingezogen war, selbst sagen durfte: wVon
dieser Zeit an ging es mir immer glücklich: Allerdings waren es besonders
günstige Umstände, die sein Glück gemacht haben: das Talent, das sich von
Jugend auf gedeihlich entwickeln konnte, die Gunst und Anerkennung wohlwollender
Freunde, die Hochschätzung und Verehrung der Mitwelt, besonders aber das kost-
bare Geschenk, das ihm seine Zeit in die Wiege gelegt hatte: Das Aufleben einer
grossen Bewegung im deutschen Volke, dem eine Zahl von Männern erstand,
die diese geistige Strömung in neue Bahnen leiteten. Welch ein Zeitalter für das
geübte Auge eines Meisters im Fache der Porträtkunst! Dem Biographen wird
es nicht Schwer, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Denn wie er selbst eine
VOGEL, Anton Graff I