Volltext: Kunstgeschichte der Gotik und Renaissance (Bd. 2)

Das Zeitalter der Renaissance."-) 
X. Die Grundelemente der Renaifsance. 
Die durchgreifendsten Veränderungen in der menschlichen Kultur werden 
durch das E1nporkounnen neuer Gesellschaftsklassen hervorgebracht. Als der mittel- 
alterliche Feudalstaat gebrochen wurde und das freie Bürgertum auf den Plan 
trat, da erst war die Möglichkeit für einen gänzlichen Umschwung gegeben. Aber 
il) zwingend war die 1nehr als tausendjährige Herrschaft 1nittelalterlichen Geistes in 
ihrer Nachwirkung, daß noch eine Periode von zwei bis drei Jahrhunderten vergehen 
mußte, ehe die Kultur der Renaissanee ihre ersten Keime entwickeln konnte. Die 
Gotik ist eine bürgerliche Kunst, nicht mehr wie die Kunst der ro1nanischen 
Epoche ausschließlich auf die höfisch-ritterliche Gesellschaft und die Geistlichkeit, 
sondern auf das Volk der emporbliihenden Städte berechnet und von diesem ge- 
fEk)affen. Dennoch ist die Kunst der Gotik völlig n1ittelalterlichen Geistes, nnd 
dieser findet in ihr erst seinen reichsten Ausdruck. Für den Norden ist es ohne 
weiteres klar, daß die gotische Kunstepoche noch zum Mittelalter gehört, für Jtalien 
aber hat man sich gewöhnt, diese Periode als eine Art von Vorrenaissance an- 
zusehen und zwar hauptsächlich deshalb, weil sie in hohem Maße mit antiken 
Kunstelementen gesättigt ist. Mit Unrecht. Denn einerseits gehört das Zurück- 
greifen auf antike Formen, wenigstens für Plastik und Malerei der Frührenaisfance, 
keineswegs zu den hervorstechenden Charakterzügen dieser Epoche, sondern es macht 
sit!-) geradezu, wie wir sehen werden, ein scharfer Gegensatz zur Antike bemerk- 
bar, andererseits ist jene Einwirkung der Antike auf die Werke Giottos und der 
K) Von hier an verfaßt von M. G. Zimmermann.
	        
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