Neue Anfänge nach der dorischen Wanderung.
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Fußbekleidung, alles ist genau geschildert. Aber die Wirklichkeit ist nur nach ihrer äußeren
Erscheinung nachgeahmt, ohne daß der Maler sich Rechenschaft über den organischen Zu-
sammenhang nnd das Gerüst des Ganzen gegeben hätte. Die Dipylonvase hingegen zeigt
den Maler als denkenden Künstler. Damit sind die AnsaHspuren zu weiterer Entwickelung
gegeben.
Jn den Vasen des geometrischen Stils und besonders in ihren figürlichen
Darstellungen haben wir das erste Dokument hellenischen Geistes, die
erste Andeutung dafür, daß er weitblickend, auf Ordnung und Regel bedacht ist
und alle kleinlichen Mittel verschmäht. Wir ahnen schon, daß die Hellenen
bei hoher Idealität ausgestattet sind mit dem ruhigen vernünftigen
Blick für das Reale, einer Vereinigung, welche sie befähigte, die höchsten
Leistungen auf kiinstlerischem Gebiet hervorzubringen, wie sie der Menschheit
nicht wieder gelungen sind.
So erwächst nach der dorischen Wanderung in Griechenland eine einheimische
Kunst, welche vollständig frei ist von orientalischen Elementen. Aber eine un-
mittelbare Weiterentwickelung von innen heraus sollte diese Kunst nicht haben, das
wäre wohl kaum möglich gewesen. Die fertige Kultur des Orients sollte
ihren Einfluß aufs neue geltend machen, und nach schwerer Arbeit das
Griechentum daraus bereichert hervorgehen. Es war das große Naturgesetz, daß
aus dem Tode wieder neues Leben erwächst: bevor die orientalische Kultur gänzlich
erstarrte und abstarb, befruchtete sie das junge aufstrebende Europa.
Das hauptsächlich bestimmende Land war Asien. Der Einfluß von dorther
wuchs in demselben Maße, in dem die griechische Kolonisation Kleinasiens
und der Küsten des Mittelmeeres fortschritt. Auf eine erste Besiedelung in der
mykenischen Epoche folgte die Kolonisation in umfangreicherer Weise von der Mitte
des 8. Jahrhunderts ab, so daß nach Verlauf eines Jahrhunderts das Agäische
Meer ein griechischer Binnensee geworden war. Aber noch weiter drangen die
Kolonisten vor, westlich bis zur Mündung der Rhone, östlich bis in das Schwarze
Meer, ja bis an die Küsten des Asowschen Meeres. Da alle diese Kolonien
in bewunderungswürdiger Weise ihr Hellenentum bewährten, wurde die spätere
griechische Kultur durch sie bis an die entferntesten Enden der damals bekannten
Welt getragen und Griechenland zum geistigen Mittelpunkt des ganzen Mittelmeer-
beckens. Zunächst aber mußte sich die Griechenwelt gerade durch ihre Kolonien,
und zwar die kleinasiatis(hen, mit orientalischen Elementen durchdringen. Ja den
dortigen Siedelungen waren die Griechen eingezwängt zwischen dem Meer und
den Völkern des Inneren und standen schon wegen des Handels in steter Berührung
mit den Asiaten. Es lag in ihrem eigensten Interesse, die freundlichen Beziehungen
zu pflegen. Von Lydien aus, das Ephesos benachbart ist, kamen assyrische Waren,
bunt gewebte Teppiche, scharlach gefärbte Stoffe, Gold- Und Sj1hekakk,ejten auf
den griechischen Markt. Von Phrygien aus drangen Reste hetitischer Kunst in die
äolischen Kolonien der nördlichen Westküste Kleinasiens vor. Rhodos war ein
vorgeschobener Posten der Dorier gegen die alten Kulturstätten von Cypern und
Phönifien. Die griechischen Kaufleute der kleinasiatiscl)en Kiistenstädte fuhren bis
nach Agypten und errichteten im Delta des Nil griechische Handelscomptoire.
Lydische, assyrische, phönikische, ägyptiscl)e Erzeugnisse des Kunsthandwerks erschienen