Volltext: Jahrbuch der bildenden Kunst (7)

Miinchner 
Aug-ftellung 
im 
Jahre 
I908 
Vor den erstaunten Augen entfaltet sich eine 
ungeheure Betriebsamkeit wirtschaftlichen, sozia- 
len, h-7gienischen und kulturellen Lebens. Man 
erhält Einblick in die 2lteliers und Werkstätten, 
in Schulen und Ämter, man sieht den ganzen 
komplizierten Organismus mit seinen trei- 
benden Kräften, die sonst hinter den Erschei- 
nungen stehen und wirken. Jede dieser Äuße- 
rungen wirkt sich in fast individuell gestalteten 
Formen aus; jedes Ding hat seinen eigenen 
Charakter und eine bestimmte lokale Färbung. 
Es ist also in erster Linie eine städtische Aus- 
stellung. Sie wirkt durchaus einheitlich, weil alle 
Dinge zueinander in natürlichen Beziehungen ste- 
hen, weil sie produkt ein und derselben Kultur 
sind  Äußerungen des von künstlerischem Ge- 
schmack und künstlerischem Geiste durchdrunge- 
nen Münchener Lebens. Die rein künstlerische 
Bewertung der Dinge brachte es fertig, auch 
die heterogensten Bestandteile zu einem einheit- 
lichen Ganzen zusammenzuschließen. Es ist viel- 
leicht die erste 2lusstellung, die einen rein 
ästhetischen Eindruck vermittelt. 
M0derne 2lrchitekten, die im Dienste der 
Stadt tätig sind, das unvergleichlich schöne 
Städtebild immer weiter auszubauen und aus- 
zugestalten, hervorragende Organisatoren, wie 
Kühles und Riemerschmied, waren es, welchen 
es gelungen ist, der vergänglichßen aller 
Erscheinungen, der 2lusstellung, den 
Stempel einer bodenständigen architekto- 
nisch gegliederten und gestalteten Schöp- 
fung aufzuprägen. 
Die Architektur nimmt auf dieser Münch- 
ner 2lusstellung eine ganz eigenartige Stellung 
ein, sie tritt in einer ganz neuen Form auf. Sie 
hat nichts gemein mit den sonst üblichen Aus- 
ftellungsbauten, die griechische Tempel und ita- 
lienische Paläste nachahmen. Es ist keine impro- 
visierte, sondern eine aus solidem Material her- 
gestellte 2lusstellungs-Architektur. Von dem 
durchaus architektonischen Geiste des modernen 
Städtebaues zeugt auch die Anordnung, Glie- 
derung und Einteilung des Ganzen. Stadtbau- 
amtmann Wilhelm Bertsch hat mit sicherem Blick 
für die Situierung der 2lusstellung das aus der 
Ebene ansteigende plateau (Theresienhöhe ge- 
nannt), gewählt. Ein weithin sichtbares Wahr- 
Zeichen, die künstlerische Dominante dieser Höhe, 
ist der Erzkoloß der Bavaria. 
Der dahinter liegende Park mit seiner Um- 
gebung bot als Ausstellungsplatz alle Vorteile 
einer schönen Lage in freier Natur, eines di- 
rekten Anschlusses an die Hauptverkehrswege 
zur Stadt, überaus günstige Situationen zur Aus- 
führung von großen und kleinen Bauten. Mit 
dieser Situierung der Bauten war auch schon 
ein bestimmter Maßstab für die Ausführung ge- 
geben. Die Bauten mußten sich an die Um- 
gebung anpassen und in einem gemütlich anhei- 
melnden und doch repräsentablen Stil gehalten 
sein. Sie fallen aus ihrer Umgebung nicht her- 
aus und überschreiten in ihrer Höhenentwick- 
lung nicht das durch die natürliche Umgebung 
bestimmte Maß. Die auf der Wiese breit hin- 
gelagerten Hallenbauten mit ihren roten Dä- 
chern, muten an schönen Sommertagen ganz ge- 
mütlich an, obwohl die rationelle Bann-eise, 
Eisenbeton, zu möglichst einfachen fast nüchternen 
Formen zwang. Zeigt sich aber in der Überwindung 
dieser Nüchternheit nicht auch schon der Ein- 
fluß der altbewährten Münchener Geschmacks- 
kultur? Am deutlichsten offenbart sich dieses Be- 
streben in der Weiterbildung künstlerischer Ele- 
mente aus dem süddeutschen Barok ins Moderne. 
Statt des etwas starren geometrischen Linien- 
sYstems in den Nutzbauten gelangt hier die 
Kurvenlinie zur Herrschaft und eine viel weiter- 
gehende Neigung zur Anwendung von archi- 
tektonischen Schmuckformen. Ein bezeichnendes 
Beispiel dieser Art ist das von Emanuel 5eidl 
erbaute Restaurationsgebäude. Grundriß und 
Situierung sind von ähnlichen Gesichtspunkten 
eingegeben, wie sie die Meister des Barokstils 
bei Anlage von Lustschl"o"ssern im Auge hatten. 
Auch Seidl wollte vor allem ein glänzendes 
architektonisches Schaubild schaffen, daher pla- 
zierte er das Hauptgebäude mit seinen beiden 
Flügeln (offene Hallengänge und Kiosk) auf 
einem Hügel und entfaltete die ganze Anlage 
in einer kühn gefchwungenen Kurve, die er bei 
der gegenüberliegenden Fontäne wiederholte. 
Dieser Parallelismus ist von ausgezeichneter 
Wirkung. Es ergeben sich verschiedene Stand- 
punkte für den Beschauer, von denen er immer 
eine mächtige Ansicht, ein reizvolles Bild genießt.
	        
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