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-Die neue Zeit.
als geflügeltes Weib Fortuna selbst, oder auch Nemesis, wie
Dürer warnend sie nennt. Beides führt sie in Händen, den
Zügel für Ungeduld und Übermut, den kostbaren Kelch für
den Begnadeten, dem sie entgegenlächelt. ,,Frena manu
pateramque gerit--, den Zügel hält sie und die Schale, so
lasen es Dürer die Freunde vor aus dem Polizian.
In keinem anderen Stich hat Dürer sich genauer an das
von der Natur Gegebene gehalten. Als Regel hat er später ein-
mal ausgesprochen: ,,Aus viel mancherlei Menschen mag durch
Versiendige was Guts zusammengelesen werden durch alle
Teil der Glieder; dann selten find man ein Menschen, der da
alle Gliedmaß gut hat, dann ein jedlicher hat sein Mangel."
Ein getibter Kiinsiler dürfe ,,nit zu einem jeglichen Bild
lebendige Bilder abnehmen, dann er gießt genugsam herauß,
was er lang Zeit von außen hereingesammelthat." Im Gegen-
saß zu solcher Regel schafft er beim Fortunablatt nicht aus
der Erinnerung, sondern der Anschauung, nach dem ,,leben-
digen Bild". Nichts wird frei abgeändert; die Rechte nicht,
die beim Modellsiehen wahrscheinlich überhaupt nichts hielt
i(den Pokal könnte sie keinesfalls so sassen), und nicht die
Füße, die auf einer platten Diele standen und der Kugel-
rundung sich nun nicht anschmiegen wollen. Es ist, als ob
"Dürer sich vor der Natur zu retten suchte vor einer bloßen
Mache, die ihm die Eingewöhnung in die Linie Mantegnas
auszwingen konnte. Er mußte wieder einmal ,,von außen
hereinsammeln".
4.
Das Fortnnablatt enthält noch etwas, das den Forsohern
viel zu denken und zu sagen gab; das ist die Landsohaft im
Halbdämmer unten. Es if? (duroh F;kindke) fefigeskelIt worden,
daß die L5rtlichkeit getreu bis ins Letzte das -füdtirolische
.Klausen wiedergibt. Dürer kann die Gegend im Skizzenbuch