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O. Schwindrazheim: Tracht und Schmuck.
da der Entwicklung Spielraum und wahren doch Wichtiges! Teilen wir die alte Tracht
auch insofern, als wir Teile, die noch hergestellt werden können, trennen von solchen,
die absolut nicht mehr zu kaufen oder herzustellen sind; wir können ja versuchen, die
Fabrikation anznregen, dem ähnliches zu schaffen, gelingt"s nicht, so ersehen wir-"s durch
anderes. Teilen wir endlich die alte Tracht auch insofern, als wir in ihren Zier-
einzelheiten das mit der heutigen gesamten Kunstrichtung parallel Laufende trennen von
dem ihr nicht Entsprechenden. Altertiimeln wir nicht! Künsteln wir nicht! Romantisieren
wir ni t!
TEilen wir auch die Feinde, 11m sie unschädlich zu machen. Bekän1pfen wir nicht
die gesamte Stadtmode, sondern nur das, was schlecht in ihr ist! Bekämpfen wir nicht alles
Bewundern der Stadt seitens des Bauern, sondern sorgen wir, daà er in der Stadt
wirklich Vorbildliches zu sehen bekommt! Bekämpfen wir nicht die Schneider, die Händler
der Stadt, die ihm seine Tracht jeHt liefern, veranlassen wir sie, ihm Gutes zu liefern,
wie sie dem Sportsman, dem Reifenden Gutes liefern. Bekämpfen wir nicht den un-
aufhaltsamen Fortschritt, lenken wir ihn zum Guten! Befehden wir nicht unnötig die
Kritiker, die zwar die alte Bauerntracht loben, aber ihre Fortexistenz bezweifeln, lernen
wir von dem, was sie loben, wie von dem, was sie warnend hervorheben sie hindern
aufs beste die sehr gefährliche Ãberstürzung, die überkünstlichen Wege!
Und nun, was kann auf dem Lande selbst geschehen?
Zunächst: Feststellung der alten Tracht in ihrer Schönheit, Symbolik, Technik, Ge-
schichte. Sammeln, Erhalten des nicht mehr Getragenen, aber noch Vorhandenen.
Alsdann: Versuche, ihre unbefangene, gerechte Wertschätzung zu erzielen durch Ver-
gleich mit guten und schlechten (in Stoff, Farbe, Form) Stadttrachten, Erhaltung der
Kenntnis der Technik und des Schnittes der alten Tracht. Ermunterung derjenigen, die
bei alter Tracht bleiben wollen. Versuche, bei den andern zu retten, was zu retten ist,
indem man Fortenttvicklungswege weist, die das wertvolle Alte in Form, Farbe, Einzel-
heiten möglichst beibehalten oder weiterbilden. Stärkung des Sinnes für das Praktische,
Solide, für das tatsächlich Geschmackoolle, für die Empfindung des Unschönen. Stärkung
des Feingefiihls, das die alte Tracht in bezug auf ihre Anpassung an Feste, Trauer,
Stimtnungen aufwies. Erhaltung oder Erweckung der Freude der Frauen an eigener
Mitarbeit in der Ausschn1ückung der Tracht unter Pflege der alten guten Techniken,
unter Beibehaltung des Guten und zugleich noch Zeitgemc"iÃen in den alten Mustern,
gegebenenfalls selbständiger Ersatz, unter Heranziehung der Natur als Formenvorbild,
nicht der Jugendstilmnster der Stadt.
Im allgemeinen Hebung des geistigen nnd seelischen Lebens auf dem Lande. Er-
haltung von Heiniatsliebe, Vaterlandsliebe (deutsche und Ortsgesc)ichte, Hein1atskunde, Sagen
und Märchen, Pietät gegen das Althein1ische u. dgl.), Vo11 Standesgefühl und Selbständig-
keitsgefühl. Förderung der Naturliebe, der Beschäftigung mit der Natur. Förderung
des Schönheitssinnes und Kunstsinnes in Hausbau, Mobiliar, HausfleiÃ. Pflege alter,
volkstiimlicher Sitten und Gebrauche, Spiele und Feste. Pflege des Volksdialekts. Pflege
des Gesanges und der Musik überhaupt. Sorge für gute Unterhaltung: Dorfbibliotheken,
Unterhaltungsabende, Liebhabertheater, gute Zeitungen u. s. f.
Und den Erfolg befehlen wir Gott und unserer gesunden Volksseele! Jst sie, wie
wir glauben, in unseren Bestrebungen, so werden sie so oder so gelingen! Jst sie"s
nicht der Fall ist aber nicht denkbar, denn die groÃe Bewegung, von der das wieder-
erwachte Interesse auch für die alte deutsche Bauerntracht ein Teil ist, ist zu groÃ, als
daà sie etwas der Volksseele Widersprechendes sein sollte! aber ist sie wenigstens
nicht so ganz identisch mit unsern Wünschen, unserm Vorgehen, nun, dann ist doch das
gewiÃ: ein Stück Volksseele ist darin, und das bürgt dafür, daà unsere Bewegung zur
Zukunft unserer Volkstrachten ich sage diesmal absichtlich Volkstrachtcu, weil ich nicht
allein an die Bauerntracht denke Positives beitragen wird!