wie es uns Heutigen erscheint. Das neunzehnte Jahrhundert, dies große Paradoxon
historischer Stile, hatte dem Tiere als bildnerischem Objekt in der Kunst eine
besondere Beachtung nicht geschenkt. Trotz Braith, dem einzigen Lehrer, der etwa
für Zügel in Frage käme, ist das Tier in der Malerei erst durch unsern Meister
heimisch geworden. So interessant es ist, so hat man doch bisher noch nie den
Versuch gemacht, zusammenhängend die Stellung des Tieres, das doch von Ur-
beginn an der Gefährte des Menschen war, in der Entwicklungsgeschichte der
Kunst zu umschreiben. Zügel zwingt dazu: Im Altertum sind die Ägypter fast
die einzigen, die neben ihrer Persönlichkeit dem Tier Daseinsberechtigung wie im
Leben so auch in der Kunst zugestehen. Wir kennen den Kult dieses Volkes,
das so modern anmutet, als gingen noch heutigentags seine Vertreter unter
uns um. Glauben und Hoffnung im Diesseits und die Glückseligkeit nach dem
Tode stehen in engster Beziehung zum Tier, das in seiner verschiedenen dämo-
nischen Symbolik für Glück und Unglück der lebenden und der abgestorbenen Seelen
ausschlaggebend ist. Wie die Seele dieses Volkes den Zusammenhang mit der
Tierwelt als solcher entdecken konnte, so hat auch die Kunst den Glauben verewigt,
der sich ursprünglicher in seinen Grundtendenzen nirgends fichtbarer ein Denkmal
errichtet hat als in den alten Sphinxgestalten, die, halb Mensch halb Tier, die
Schlüssel zum Rätsel des ägyptischen Kultes darbieten. Nach dem Untergang
des ägyptischen Reiches aber scheidet das Tier als gleichberechtigtes Lebewesen
neben dem Menschen aus der Kunst aus.
Hellas, das auf dem Höhepunkt seiner kulturelIen Entwicklung der Natur und
dem Leben in allen schönen Offenbarungen so nahe kam, hat für das Tier als
Einzelerscheinung, als Teil eines Natur-Ganzen kaum noch den rechten Sinn
besessen. Höchstens war es zum dekorativen Beiwerk, zumal im engen Zusammen-
hang mit der Architektur, als bildnerisches Objekt beliebt, und immer sind es nur
die Opfertiere oder das stolze Schlachtroß, das würdig befunden wird, durch die
Kunst verewigt zu werden. Das Löwentor von Mykene erscheint fast als seltene
Ausnahme. Der altägyptische Kult war auf ein enges Gemeinsamkeitsgesühl
zwischen Tier und Mensch zugeschnitten. In dem Lande, dem der Nil alljährlich
seine große Fruchtbarkeit sicherte, mußte man fast von selbst den Nutzen erkennen,