Kritik
der
Erzählung
Herodots.
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Mauer war der Palast und der Schatz des Dejokes. Nachdem De,
jokes diese Befestigung für sich und seinen Palast errichtet hatte, be,
fahl er dem Volke sich um die Burg her anzubauen. Und als der
Bau vollendet war, ließ er niemanden mehr vor sich, damit diejeni:
gen, welche mit ihm ausgewachsen und gleichen Alters, gleicher Her:
kunft und gleicher Tapferkeit mit ihm waren, ihn nicht beneideten
und ihm Nachftellungeu bereiteten, sondern daß er ihnen unsichtbar ein
Auderer. erscheine. Aus diesem Grunde machte Dejokes zuerst die
Einrichtung, daß niemand Zutritt zum Könige habe, sondern Alles
durch Boten abgemacht würde, und daß es schimpflich war in seiner
Gegenwart zu lachen oder auszuspeien oder etwas dergleichen zu
thun; die Klagen aber mußten ihm schriftlich hereingesendet werden
nnd er schickte dann das Urtheil hinaus. Nachdem Dejokes auf diese
Weise die Tyrannis befestigt hatte, hielt er strenge auf Gerechtigkeit,
und wenn er erfuhr, daß jemand Uebern1uth übte und anderen Ges
walt that, ftrafte er ihn nach dem Maß seines Vergehens, und seine
Späher und Horcher waren im ganzen Lande II.
Diese Erzählung Herodots erregt die größten Bedenken. Waren
die Meder damals, wie Herodot sie schildert, ein einfaches Volk von
Bauern in ganz nngeordneten Verhältnissen, so war es unmöglich,
daß ein freiwillig von ihnen erhobener Herrscher eine so totale Um,
Wandlung aller Lebensverhältnisse durch sein Gebot herbeigeführt
hätte, wie Herodot von Dejokes behauptet. sNicht blos das Dorf:
leben wird mit einem Schlag in das Stadtleben verwandelt, statt
eines patriarchalenRegiments, das Dejokes nach jener Voraussetzung
über Landleute zu führen hätte, bringt er sogleich den ganzen Apparat
morgenländischer Zwingherrschaft nnd Kultur in Anwendung, das,
abgeschlossene ceri1noniöse Leben des Herrschers im Palaste, ungeheure
Palasts undsFestungsbauten, ein über das gesan1mte Land ausges
breitetes Polizeifhstem, nnd außerdem führt er noch das schriftliche
Rechtsverfahreu ein. Die Macht dies alles durchzusetzen, hat De:
jokes durch seine gerechten und weisen Richterspriiche erworben. Wart
wirklich jene Anarchie bei den Medern vorhanden, die Herodot be;
hauptet, so konnten die Meder um so weniger geneigt sein, sich
auch den besten Urtheilen zu fügen; auch die gerechtesten Urtheile
hatten in solcher Lage keine Aussicht auf NachachtUng. Woher
nahm Dejokes die Macht, die Starken, Trotzigen und Eigensüch:
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