Der
von Hierapolis.
Tempel
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vor der Hauptpforte der Tempel im Freien zu stehen pflegte, sah man
eine Unzahl eherner Bilder, Könige und Priester vom höchsten Alter:
thum bis auf die Seleucidenzeit darstellend, in der Nähe auch eine
Anzahl Gestalten aus dem homerischen Sagenkreise. Allein das Merk:
würdigste waren überhaupt nicht die Bilder, sondern der Cultus, von
dessen wüster Massenhaftigkeit man nur hier einen vollständigen Be:
griff erhält. In dem großen Tempelhose gingen heilige Stiere, Pferde,
zahme Löwen und Bären frei herum; dabei war ein Teich voll heiliger
Fische, in der Mitte ein Altar, zu welchem täglich AndäGtige laut
Gelübde hinschwammen, um ihn zu bekränzen. Um den Tempel warf
ein Volk von Flötenbläsern, entmanntenPriestern CGalliJ und rasenden
Weibern angesiedelt, welche mit pomphaften lärmenden Prozessionen,
mit Opfern und aller möglichen Unsitte ihre Zeit hinbrachten. Ganz
dem Wahnsinn geweiht erscheint zumal das Frühlingsfest, zu welchem
sich eine ungeheure Wallfahrt aus ganz Syrien in Hierapolis einfand.
Bei diesem Anlaß wurde nicht bloß ein halber Wald mit Opfern aller
Art CThieren, Gewändern, KostbarkeitenJ verbrannt, sondern auch die
Recrutirung der Galli scheint sich daran1 angeschlossen zu haben, indem
der wüthende Taumel viele Unglückliche ergriff, daß sie sich durch
Selbstentmannung der Göttin weihten. Und dieser Tempel war einer
der geehrtesten von Vorderasien, und zu seinen SchäHen hatte Cappa:
docien wie Assyrien, Cilicien wie Phönieien beigefteuert. Weithin
leuchtete er mit seinen ionischen Säulenreihen von einem Hügel über die
ganze Stadt, ruhend auf Mauerterrassen mit gewaltigen Propyläen.
Merkwürdiger Weise findet sich in diesem Tempelbezirk, wo es so bunt
hergeht, auch das Vorbild der spätern Säulenheiligen; aus den Pro:
pyläen ragten zwei enorme Steinbilder2 CSinnbilder der Zeugungss
kraftJ empor, dergleichen in ganz Kleinasien, so weit ähnlikhe Culte
reichten, hie und da vorkamen, und auf diese stieg alljährlich einMensch,
1
I A. a. O., S. 49, 50 will Lucian offenbar Beides verknüpfen. Die
meisten Verfchnittenen mochten indes; Sklaven sein, welche durch Sehen,
kung ihrer Herrn an die Tempel gelangten. Vgl. Stra,b0 XI, Ende.
Z Die cPaD.oL TptyxocCcov öpYuik5wv, a. a. O., S. 28 beruhen entweder
auf einer abfichtlichen Uebertreibung Lucians oder auf einer falschen
Lesart für scpcoi::ovm.E Man rechne nach, welche Pfeiler das gäbe,
die Orgyje zu 52x3 Fuß gerechnet.
Vurckhardt, Conftantin. 2. Aufl. 11