142
Fünfter Abschnitt.
Das Heidenthum und seine Göttermischung.
Religion, noch weniger eine weise Aufklärung für Eingeweihte, son:
dem nur ein geheimer Ritus der Verehrung, welcher die Götter dem
Mhsten besonders geneigt machen sollte. Eine wohlthätige Wirkung
lag in der wenigstens dabei ausgesprochenen Bedingung reiner Sitten,
sowie auch in der Belebung des Nationalgesühls, welches hier wie
bei den festlichen Spielen den Hellenen mehr als je begeisterte.
Dieser Religion gegenüber hatte die Philosophie, sobald sie sich
über die kosmogonischen Fragen erhob, die Einheit des göttlichen
Wesens mehr oder weniger deutlich ausgesprochen. Damit war der
höchsten Religiosität, den schönsten sittlichen Jdealen die Bahn eröfs:
net, freilich auch dem Pantheismus und selbst dem Atheismus, welche
dieselbe Freiheit gegenüber dem Volksglauben in Anspruch nehmen
konnten. Wer die Götter nicht läugnete, erklärte sie pantheistisch als
Grundkräste des Weltalls oder stellte sie, wie die Epicureer, müßig
neben die Welt hin. Auch die eigentliche ,,Ausklärungtt mischte sich in
die Frage: Euhemeros und sein Anhang hatten schon längst die Götter
zu ehemaligen Regenten, Kriegern u. s. w. gemacht und die Wunder
rationalistisch durch Betrug und Mißverständnisse entstehen lassen;
eine falsche Fährte, von welcher sich aber später die Kirchenväter und
Apologeten bei der Beurtheilung des Heidenthums beständig irre füh2
ren ließen. Diesen ganzen Gährungszustand hatten die Römer
neben der griechischen Cultur mit übernommen, und die Beschäftigung
mit diesen Fragen wurde bei ihren Gebildeten Sache der Ueberzeus
gung wie der Mode. Neben allem Aberglauben entwickelte sich in den
höhern Schichten der Gesellschaft der Unglaube, mochten auch der
eigentlichen Atheisten nur wenige sein. Dieß hörte aber mit dem
dritten Jahrhundert, unter der Einwirkung der großen Gefahren des
Reiches, sichtbar auf, und eine gewisse Gläubigkeit begann vorzuherr:
schen, die allerdings weniger der alten Staatsreligion als den Fremd,
culten zu Gute kam. Uebrigens war in Rom der alte einheimische
Cult so enge mit dem Staatswesen verflochten und die betreffende
Superstition so stark gegründet,I daß sowohl der Ungläubige als der
I Vgl. Gerlach und Bac;ofen, Geschichte der Römer. Bd. I, Abthl. 2.
S. 211 ff. Eine merkwürdige Berathuug der sibylIinischen Bücher
bei Amsel. Vier. Epidemie, bei Anlaß des Claudius Gothicus.