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die Feldlerche. Sie mögen von ihr lernen, was es
heißt: ,,aus Lust singenU. Sie müssen zuerst das reine
Freudegefiihl besiHen, ehe Sie es vollendet ausdrücken
und anderen Menschen 1nittheilen können, die solcher
Freude fähig sind. Es läßt sich jedoch solchen Menschen
nicht mittheilen, welche nicht vorbereitet sind, es auf:
zunehmen.
Nun ist in ähnlicher Weise jeder echte menschliche
Gesang der vollendete künstlerische Ausdruck von Freud7
und Leid für eine von edlen Menschen empfundene,
gerechte Sache. Und im genauen Verhältnis; zur Rechts
mäßigkeit der Sache und zur Reinheit der Empfing
dung steht die Möglichkeit schöner Kunst. Ein Mädchen
vermag ihre verlorene Liebe, ein Geizhals jedoch nicht
den Verlust seines Geldes zu besingen. Und so ist,
genau genommen, die Schönheit aller mög:
lichen Kunst das äußere Zifferblatt der von
ihr ausgedrückten sittlichenReinheit und Er:
habenheit der Empfindung. Das läßt sich jeden
Augenblick feststellen. Fragen Sie sich hinsichtlich irgend
eines Gefühls, welches Ihr Gen1üth vollkommen in Vef1h
genommen hat: Könnte dies von einem Meister würdig
in ausdrucksvoller Melodie besungen werdenP Als:
dann ist es ein richtiges Gefühl. Könnte es überhaupt
nicht oder nur scherzhaft besnngen werden, so ist es
ein niedriges Gefühl. Und so verhält es sich in allen
Künsten. Daher mit mathematischer Gewißheit gesagt