Jndividue11en.
Die Darstellung des
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sächlichere Schwäche, daß dem Charakteristischen, auf welches man in unserer
Zeit vielfach einen so entschiedenen Werth legt, der unmittelbar entgegen:
kommende Sinn fehlte. Dieser Mangel, der von diesem Standpunkte
aus auch der griechischen Kunst anhaftet, beruht auf den tiefsten Eigen:
schaften idealistischer Kunst überhaupt, und er kann Thorwaldsen nicht zum
persönlichen Vorwurfe gereichen. Vielmehr eröffnet die Erkeuntniß desselben
nur in voller Klarheit die Einsicht in den allgemeinen Entwickelnngsgang
der deutschen Bildhauerei nnd die besondere Bedeutung Gottfried sSchadow7s
innerhalb dieses Ent1viikelungsganges. Man wiirde jedoch irren, wenn
man der Meinung wäre, daß Thorwaldseu in der Darstellung des Jus
dividuellen, wo jener Mangel sich zunächst bemerkbar machen miißte,
unglücklich gewesen wäre. Im Gegentheil hat er Biisten und Statuen
bestimmter Personen 1nodellirt, denen, in ihrer Art richtig gewürdigt, die
künstlerische Vollendung nicht abgesprocheu werden kann. Nur suchte
Thorwaldsen die Bedeutung dieser Personen nicht in der unmittelbaren
Wiedergabe ihrer charakteristischen Eigenthii1nlichkeiteu, sondern dadurch
hervorzuheben, daß er deren dauernde, tiefere Wesenheit in Gestalt und
Zügen auszudrücken und zugleich das mehr Zufällige ihrer Erscheinung
zuriiekzudrängen sich bestrebte. Dies liegt in der Natur seiner, wie aller
derjenigen Kunst, die wir ihrem Geiste wie ihrem Style nach klassisch zu
nennen gewöhnt sind. Da aber andere Künstler der neueren Zeit schon
vor Thorwaldsen und gleichzeitig mit ihm, vornehmlich Gottfried Schadow
nnd Rauch, schärfer iudividualisirteu nnd dem Charakteristischen bestimmter
Personen mehr Rechnung trugen, hierdurch aber dem modernen Geschmacke
mehr entgegenkamen, so erklärt es sich, warum oft Büsten und namentg
lich Bildnißstatueu Thorwaldsen7s skiihler oder mit abfälligen Urtheileu
aufgenommen wurden. Diese Thatsache aber ist aus einer Schwäche des
iKünstlers, deren Beseitigung etwa in dessen Belieben gestanden, nicht zu
begründen, sondern nur ans dem Mißverständnis; des modernen Geschmackes
zu begreifen, der in Thorwaldsen7s Werken dieser Art Etwas erwartete und
suchte, das der Meister, wenn er den Boden seiner ganzen Kunstanschanung
nicht verlassen wollte, nicht leisten konnte. Uebrigens sind Werke, wie das
Reiterbild des Kurfiirsten Maximilian1. in München, das Standbild Guten:
berg7s in Mainz, die Bildnißstatuen der Gräfin Ostermaun und der Fürstin
Bariatinski, die Statue des Künstlers selbst, ja sogar das viel getadelte
Standbild Schiller7s in Stuttgart und manches andere derartige Werk
nur vereinzelt durch ebenbürtige Arbeiten anderer Künstler erreicht, im Alls
gemeinen aber bis jetzt noch nicht übertroffen worden, so daß Niemand be:
rechtigt sein kann, die Meisterschaft Thorwaldsen7s auch auf dem Gebiete
der Bildnißplastik überhaupt und schlechthin in Frage zu stellen.