Volltext: Geschichte des Wiederauflebens der deutschen Kunst zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts (Theil 1)

Jndividue11en. 
Die Darstellung des 
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sächlichere Schwäche, daß dem Charakteristischen, auf welches man in unserer 
Zeit vielfach einen so entschiedenen Werth legt, der unmittelbar entgegen: 
kommende Sinn fehlte. Dieser Mangel, der von diesem Standpunkte 
aus auch der griechischen Kunst anhaftet, beruht auf den tiefsten Eigen: 
schaften idealistischer Kunst überhaupt, und er kann Thorwaldsen nicht zum 
persönlichen Vorwurfe gereichen. Vielmehr eröffnet die Erkeuntniß desselben 
nur in voller Klarheit die Einsicht in den allgemeinen Entwickelnngsgang 
der deutschen Bildhauerei nnd die besondere Bedeutung Gottfried sSchadow7s 
innerhalb dieses Ent1viikelungsganges. Man wiirde jedoch irren, wenn 
man der Meinung wäre, daß Thorwaldseu in der Darstellung des Jus 
dividuellen, wo jener Mangel sich zunächst bemerkbar machen miißte, 
unglücklich gewesen wäre. Im Gegentheil hat er Biisten und Statuen 
bestimmter Personen 1nodellirt, denen, in ihrer Art richtig gewürdigt, die 
künstlerische Vollendung nicht abgesprocheu werden kann. Nur suchte 
Thorwaldsen die Bedeutung dieser Personen nicht in der unmittelbaren 
Wiedergabe ihrer charakteristischen Eigenthii1nlichkeiteu, sondern dadurch 
hervorzuheben, daß er deren dauernde, tiefere Wesenheit in Gestalt und 
Zügen auszudrücken und zugleich das mehr Zufällige ihrer Erscheinung 
zuriiekzudrängen sich bestrebte. Dies liegt in der Natur seiner, wie aller 
derjenigen Kunst, die wir ihrem Geiste wie ihrem Style nach klassisch zu 
nennen gewöhnt sind. Da aber andere Künstler der neueren Zeit schon 
vor Thorwaldsen und gleichzeitig mit ihm, vornehmlich Gottfried Schadow 
nnd Rauch, schärfer iudividualisirteu nnd dem Charakteristischen bestimmter 
Personen mehr Rechnung trugen, hierdurch aber dem modernen Geschmacke 
mehr entgegenkamen, so erklärt es sich, warum oft Büsten und namentg 
lich Bildnißstatueu Thorwaldsen7s skiihler oder mit abfälligen Urtheileu 
aufgenommen wurden. Diese Thatsache aber ist aus einer Schwäche des 
iKünstlers, deren Beseitigung etwa in dessen Belieben gestanden, nicht zu 
begründen, sondern nur ans dem Mißverständnis; des modernen Geschmackes 
zu begreifen, der in Thorwaldsen7s Werken dieser Art Etwas erwartete und 
suchte, das der Meister, wenn er den Boden seiner ganzen Kunstanschanung 
nicht verlassen wollte, nicht leisten konnte. Uebrigens sind Werke, wie das 
Reiterbild des Kurfiirsten Maximilian1. in München, das Standbild Guten: 
berg7s in Mainz, die Bildnißstatuen der Gräfin Ostermaun und der Fürstin 
Bariatinski, die Statue des Künstlers selbst, ja sogar das viel getadelte 
Standbild Schiller7s in Stuttgart und manches andere derartige Werk 
nur vereinzelt durch ebenbürtige Arbeiten anderer Künstler erreicht, im Alls 
gemeinen aber bis jetzt noch nicht übertroffen worden, so daß Niemand be: 
rechtigt sein kann, die Meisterschaft Thorwaldsen7s auch auf dem Gebiete 
der Bildnißplastik überhaupt und schlechthin in Frage zu stellen.
	        
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