270
Vierter Abschnitt.
dem Beschauer des Bildes zugewendet und erhebt die Rechte zum Segnen.
Etwas im Hintergrunde stehen links der h. Hieronymus mit dem Kars
dinalshut, in anbetender Stellung, rechts der h. Franciscus, mit verwuns
,dert erhobener Rechten zu dem Kinde hinüberblickend. In der Ferne
zwischen den Köpfen der Heiligen sieht man in eine Landschaft mit
Gebäuden hinaus. Das Bild ist auf Holz gemalt; l3U 3W hoch und 11U
breit. Nach dem Original gezeichnet von A. Becker.
Fxk;, Z, Isaria mit dem Kinde, aus dem Hause s1Iempi. In den Jahren
1504 und 1505, besuchte Rafael Florenz, das erste Mal nur flüchtig, das
zweiteMal auf drei Jahre und lernte in dieser Zeit die älteren und neueren
Florentiner, einen Franceseo Francia Cvgl. Taf. 70, Fig. II, sowie ausser
dem schon genannten Lionardo auch Michel Angelo,s Garten und inss
besondere die Werke des Fra. Bartolommeo Cvgl. Taf. 76, Fig. 1.4J
kennen. Das anhaltende Studium dieser.Mcister führte ihn auf jene
zweite Stufe seiner Entwickelung, auf der sich mit der ganzen 1nnigkeit
und Zartheit der umbrischen Auffassung eine freiere, grossartigere Hands
habung der Form und eine bei aller Strenge lebendigere Compositionss
weise in seinen Bildern vereinigen. Als ein schönes Beispiel dieser
Epoche kann das vorstehende Bild angesehen werden, welches zu Ans
fang dieses Jahrhunderts im Hauses der Familie Tempi zü Florenz aufs
gefunden und später in die alte Pinak0thek des Königs Ludwig zu hlüns
chen aufgenommen wurde. Maria ist hier in mehr als halber Figur
stehend dargestellt; sie trägt das fast gänzlich unbekleidete Kind auf dem
linken Arm, während die Rechte es zart und liebevoll an die Brust
drückt; der Kopf der Mutter neigt sich leise herab, um die Wange des
Kindes zu küssen. Beide Gestalten sind von dem Conventionellen der
umbrischen Schule völlig befreit, die Formen kliessen anmuthig, aber mit
einer gewissen gehaltenen Würde dahin, der Wurf der Gewandung ist
frei und lebendig, die Färbung von einer blühenden Schönheit. .Der
Ausdruck der Heiligkeit ist hier schon in den der hohen weiblichen
Anmuth aufgegangen. Das Bild ist auf Holz gemalt, 2t 4U hoch und
IV 7U breit. Nach dem Stich von Desnoyers.
F1G. 4. Maria mit dem Kinde, aus der Sammlung sann. Raserei zulsont1on.
Die dritte Periode in Rafaels Leben macht sein Aufenthalt in Rom aus,
wohin ihn Papst Julius II. im Jahre 1508 berufen hatte. Wir lernen
die staunenswerth schnell und allseitig erfo1gende Entwickelung, in wels
eher seine Kunst, getragen von den grossen 1deen jenes kunstsinnigen
Kirchenfürsten und im edlen Wetteifer mit Michel Angelo zu immer
sto1zerer Höhe sich aufschwang, zuerst aus einer Anzahl von Madonnens
bilden: kennen. Zu den anmuthigsten, in Ausdruck und Durchführung
gleich zarten Werken dieser Art ist das vorstehende, früher in der Gras
lerie 0rlcans, jetzt in der Sammlung des Dichters Sain. Rogers zu Lons
den beiindliche Gremälde zu zählen. Die heilige Jungfrau sitzt hier auf
einer Brüstung, von welcher das vor ihr stehende Kind zu der Mutter
hinstrebt. Diese umfasst dasselbe mit der Linken und unterstützt seinen
rechten Fuss mit ihrer Rechten, den Blick sinnig zu Boden gerichtet,
während das Kind, die Mutter umhalsend, freudig dem Beschauer ents