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Vierter Abschnitt.
der Mutter greift, eine so mächtige Wahrheit zu geben, dassswir darüber
das Unziemliche der Eriindung vergessen und uns an dem frischen NO:
turquell, der hier strömt, erquicken. Cicognara, storia della scu1tura.
vol. II, tav. LVI:, d7Agincourt, hist. de l7art etc. Seulpt. pl. XLVII, Fig. 5.
l71G. 4. Maria mit dem Leichnam Christi, von Michel Angeld. .Der
seltene Zug lieblicher Sel1ijnhcit,.der die eben betrachtete Madonna auss
zeichnet, findet sich in erhöhtem Maasse bei dem vorstehenden, derselben
Sphäre entnommenen Werke Michel Ange1o9s; derselbe ist hier jedoch
weniger überraschend, da dieses VVerk der früheren Periode seines das
mals noch nicht jenem Geist entfesselter Gewaltsamkeit anbeimgegebenen
Schaffens angehört C1499J. Es ist die schöne Pieta in S. Peter zu Rom,
eine Gruppe von wunderbar in sich gcrundeter Composition und unnachs
al1mlich innigem Gefüh1sansdruck. Maria, ein Weib von jugendlieher
Schönheit, hält den Leichnam Christi im Schooss, mit still wehmüthigem
Blick das Haupt zu ihm herniederneigend. vornehmlich die beiden
Köpfe werden um der reinen Schönheit willen gepriesen, welche man an
keinem späteren Werke des Meisters in diesem Grade wiedertlndet. Die
Gruppe ist vielfach von Bildncrn und Malern copirt worden. lSrasmo
Pistolesi, Il Vatieano discritto ed illustrato, Rom 1829, vol. I, tav. Xl1I; Cis
eognara und d7Agincourt, a. d. a. O.
Pia. 5. Moses, von Michel Angeln. All jenen gewaltigen Schwung
des Gedankens und die ganze Fülle ncrviger Formgebung sehen wir das
gegen in diesem berühmten Werke des Meisters, der sitzenden Kolossals
statue des Moses, zur Darstellung kommen. Dieselbe gehört zu dem
Grabmonumente, welches Julius II. schon bei seinen Lebzeiten dem
Michel Angelo zur Ausführung übertrug. Nach dem, aus einer IIands
Zeichnung uns bekannten, Plane sollte das Denkmal, dem Riesengeiste
seines Meisters und Bestellcrs gleich entsprechend, ein gr0ssartiger archis
tektoniscl1splastischer Aufbau werden, welcher an den Wänden die nacks
ten Gestalten der von Julius II. wieder er0berten Provinzen und der
durch seinen Tod in Unfreiheit gesunkcnen Künste, auf den Vorsprüngen
die Kolossalbilder des Moses und Paulus tragen sollte. Viele dieser
Statuen sind angefangen und sollen in Frankreich und Italien zerstreut
sein; das Ganze auszuarbeiten wurde der Künstler jedoch durch eine
seltsame Verkettung unglücklicher Umstände und endlich durch den Tod
des Papstes selbst behindert. Nur den Moses nebst zwei weiblichen Ges
stalten der Lea und Rahel führte Michel Angelo aus und diese Werke
wurden dann dem 30 Jahre nach Julius II. Tode erbauten, von Michel
Angelo7s Schiilern.nach seinen Zeicl1nungen gearbeitetcn kleineren Denks
mal angetijgt, welches in der Kirche S. Pietro in Vincoli zu Rom aufges
stellt ist. Der Moses, eine Gestalt von heroischem Gliederbau, sitzt, den
rechten Arm auf die Gesetzestafeln stützend, auf einem Felsstüek. Das
mit kurzem Haupthaar, aber einem ungeheuren Bart ausgestattete Anti
litz wendet sich zur Linken, zürnendsscl1arfen Blickes in sdie Weite
schauend; der linke Arm ist müssig in den Schooss gelegt. Den Unter.
körper umgibt ein in gewichtvolle Massen geschlagener Mantel, und es
scheint, als ob die Riesenglieder, die darunter hervortreten, eben im