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Leben
Mic11clangeto7s.
Lichtes
Capitet.
zu entdecken, weil er Michelangelo7s Absicht nicht kennt. Gerade
darin aber zeigt er sich groß als Architekt, indem er die Bild:
hauerarbeit nicht als willkürlich anzubringende oder fortzu:
lassende Verzierung nahm, sondern als architektonisches Element
betrachtete, das zur Harmonie des Ganzen nothwendig war.
Auch von innen betrachtet, wenn man mit zurückgebogenem
Kopfe in die Kuppel hineinblickt, bietet sie einen wunderbaren
Anblick. Unter. den Fenstern des Tambours her zieht sich ein
Kreis von Figuren, die in leichten grauen Schatten und mit
goldenen Lichtern auf weißem Grunde erscheinen. Alle untere
Ornamentik, die Bogenspannung mit einbegriffen, die Beklei:
dung der Pfeiler, die Statuen, die Gemälde, gehören späteren
Zeiten an und haben wenig mit Michelangelo zu thun.
Dies unendliche Nebenwerk, von dem die ganze Kirche
erfüllt ist und das ohne Rücksicht auf die Architektur, wo sich
nur Maß bot, angebracht worden ist, trägt die Schuld, daß
uns die Kirche nicht auf den ersten Blick in ihrer wahren
Größe erscheint. Das Auge, das frei die Massen übersliegen
möchte, wird von unzähligen Dingen abgelenkt und verirrt sich.
Beim öfteren Besuch der Kirche gewöhnt man sich daran, über:
sieht das Unbedeuteude nnd läßt die Verhältnisse rein auf sich
wirken. Die grandiose Macht der Pfeiler und Bogenstellungen
tritt dann hervor, und die Entfernungen, die sich zuerst kaum
schäZen lassen, werden begreiflich. Ich erinnere mich, daß ich
eines Nachmittages eintrat. Vorn, wo ich stand, kamen große
Sonnenströme durch die Seitenfenster und warfen zwischen den
Bogen hindurch das breite Licht quer über den Boden, dann
wurde es, nach hinten zu, allmählich däncmriger, bis ganz in
die Tiefe, wo Dunkel herrschte, und um die Gruft, die die