Vasari.
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Genauigkeit seiner Daten ist kein Verlaß. Er giebt falsche
Jahreszahlen an und beschreibt Bilder zuweilen so, daß seine
Worte nicht mit dem stimmen, was darauf zu sehen ist. Wo
man seine Behauptungen mit sicheren Documenten vergleicht,
findet man viel Jrrthümer; wo man die Quellen, die er be:
nukzte, noch besiszt und nathlesen kann, gewahrt man, daß er
fortließ oder zuseHte was ihm genehm war.
Dennoch ist sein Buch eine verdienstvolle, unentbehrliche
Arbeit. Er war, als er es schrieb, meistens auf sHörensagen
angewiesen. Er kannte die Urkunden nicht,. die uns heute zu
Gebote stehen. Ihm und seinem Jahrhundert fehlte der Sinn
für die kritisehe Schärfe, mit der heute gearbeitet wird. Sein
Buch ist und bleibt für den Kunstfreund ein Schatz, dessen
Reichthum unerschöpflich scheint. Sein Styl ist klar und ge:
drängt, seine Weltansicht eine heitere nnd vernünftige. Im
Ganzen sind die Verdienste Vasari7s so groß, daß sie durch
keinen Tadel aufzuwiegen wären.
Gerade seinen tadelnswerthen Eigenschaften aber verdanken
wir es,, daß wir über Michelangelo so gut unterrichtet sind.
Vasari sandte sein Buch, als es fertig gedruckt war, dem
alten Meister zu, der ihm darauf mit einem Sonette ant:
wortete, in welchem die verbindlichsten Dinge gesagt sind.
Eine andere Antwort jedoch, entgegengesetzten Juhalts, lag
in dem Erscheinen der Condivischen Arbeit. Coudivi lebte. in
seines Meisters unmittelbarer Nähe. Vasari, obgleich er es
anders darstellen möchte, stand Michelangelo fern, dessen
schmeichelhaste Briefe mehr dem Hofagenten als dem Künstler
gelten. Wie fern in Wahrheit Vasari dem großen Manne
stand, zeigt nichts so sehr als sein Buch, denn man kann sich