Gedichtc.
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wenn er malt, und sich doch ja nicht von der Stelle zu rühren,
weil er es verboten hat. Ihm aber scheint es ein Quell des
innigsten Vergnügens gewesen zu sein, sie auf7s Genaueste
nachzubilden und in keinem Pünktchen anders darzustellen, als
er sie vor sich sah. Man glaubt ihr die Eifersucht, die Heftig:
keit, das Lachen, die unverwüstliche gute Laune und den Stolz
auzufühlen auf das Glück, von ihm geliebt zu werden. Er
aber malte Alles hinein, weil er dieser Gefühle selber so bis
in ihre Tiefen hinab fähig war. Wenn es seine Bilder ,nicht
verriethen, die Gedichte verriethen es. H
Fehlte Michelangelo diese Seite des Charakters völlig2
Man ist gewöhnt, den Namen Vittoria Colonna auszusprechen,
wenn eine Frau neben ihm genannt wird. Aber als er sie
kennen lernte, war er fast ein alter Mann und sie nicht
weniger in den Jahren. Es verband sie gleiche Gesinnung
in schwierigen Zeiten. Sie aber blieb immer die Fürstin und
niemals war die Rede von Liebe,zwischen ihnen. Vittoria
lebte als Wittwe halb wie eine Nonne schon und stand im
Begriff, in7s Kloster zu gehn.
Nur die Gedichte Michelangelois gewähren eine Antwort.
Es sind leidenschaftliche darunter, aber es fehlt fast überall
das Datnm ihrer Entstehung; die wenigen, wo es sich be:
stimmeniläßt, fallen in seine späten Jahre. Condivi erzählt
jedoch, daß er schon früh zu dichten begonnen habe.
Aber in den Versen, die er als alter Mann schrieb, spricht
er von seiner Jugend und den Leidenschaften, dies sein Herz
damals zerrissen. ,,Das war der schlimmste Theil meiner jun:
gen Jahre, sagt er, daß ich blindlings und ohne Warnung
anzunehmen in Gluth gerieth.U ,,Wenu du mich, zu besiegen