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immer aufgelegt, Kunstwerke zu genießen, am wenigsten
Abends, wo die tägliche Portion Spiritus schon beinahe auf:
gebraucht ist. Damals wurde am Tage gespielt, am Morgen
der Festtage und von Staatswegen. Diesen Luxus konnten
sich die griechischen Staatskassen leisten, denn in jenen
Zeiten war die kostspielige moderne Bühne noch nicht er:
funden, und wenn einmal das Theater erbaut war, so
kamen die Ausführungen jedenfalls nicht hoch. Gasrechnungen
fielen ev ipso weg. Am Sonntag Morgen.ging man also
dort ins Theater, wie heutzutage in die Predigt. Von
welcher Wirkung unter solchen feierlichen Verhältnissen ein
gutes Kunstwerk sein kann, ermesse man daraus, daß sogar
eine protestantische Predigt mit zwei Chorälen am Sonntag
Morgen auf eine frischgetvasahene Seele erbauend wirken
kann. Ach, was war das für ein Volk, wo man am Sonn:
tag Morgen,das Feierkleid anzog und hinging, um in der
Reihe der Männer von Staatswegen statt einer Predigt
ein Sophokleisches Drama anzuhören. Lamentiren über die
öde Gegenwart ist gewiß banal, und ich hüte mich es zu
thun, aber wenn ich ans alte Griechenland denke, so möchte
ich manchmal einfach heulen.
Jndem ich den Erleichterungsseufzer zu hören glaube
hier am Ende der Epistel bitte ich geziemend um Verzeihung
Cnon potevo kais di menoJ und verbleibe mit den besten
Wünschen für Ihr und Emils Wohlergehn Ihr dankbarer,
ergebener
Stauffer.
Roma, 29. August 1889.
Verehrteste Frau und FreundinZ
Jch komme wieder einmal aus dem Vatican, wo its;
seit einigen Tagen regelmäßig einige Stunden zugebracht
Karl Stauffer:Bern. IS