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Scherz, bis zu den höchsten und ernsthaftesten Problemen, in
z1vangloser Weise.
So mochte ich mir Sokrates und seine Schüler denkenl Es
gab nicht den geringsten Zwang, jeder konnte um Iegliches fragen
und erhielt eine mehr oder minder ausführliche Antwort, welche
rückhaltlos gegeben wurde und deshalb manche 2Nif5deutung
erlebte, wie sicp später zeigen wird.
In solch einer Feierstunde sprachen wir von dem Verfall
der grossen historischen Kunst und der planIosen Zerfahrenheit der
modernen 21kalerei gegenüber dem geschaffenen Eindruck der
früheren Kunstperioden. Da begann nun Rahl uns die ver:
anlassenden Ursachen zu zeigen und zu erläutern: ,,Wie auf
Rasael und UTichel Un gelo nothwendig der Niedergang folgen
mußte; weil sie das Problem gelöst und somit in der Hauptsache
das Thema der religiösen Idee nach der höchsten Zartheit und
2lnmuth sowie der grössten energischesten Erhabenheit erschöpft,
so mußten die Epigonen in Geziertheit und Uebertreibung ver:
fallen. Die Niederländer, welche fast gar nicht in diesen Kreis
gezogen wurden, oder in ihrer Weise zu wirken suchten, fanden
im gesunden Realismus und in mannigfaltigen Existenzbildern
aus dem reichbewegten und interessanten 2llltagsleben ihren Halt
und lösten ihre Aufgabe, welche allerdings nicht der Erhabenheit
und Idealität des christlichen Glaubens gleichkommt, aber ebenfalls
einem Bedürfnis; entsprach und ein zeitbewegendes Endziel abgab.
Dann kam die prunkvolle Zopfzeit, dieses Echo der
Renaissance, das Ueberschäumen des aller Schranken spottenden
Barokstyls, das maßlose Waltenlassen phantastischer Einfälle, das
Verblüffende, den Umsturz der Folgerichtigkeit durch den ungerecht:
fertigtsten Effect vollbringend. Uns den Rausch folgte der Katzen:
jammer, die Nüchternheit aus die Orgie, die Blasirtheit, und nun
tappt man nach neuen Motive11, sucht an alte willkürliche an:
zuknüpfen, und Einer meidet die Pfade des Anderen, hoffend,
früher und allein an ein Ziel zu gelangen, welches er sich
weniger gestellt als von der Gunst der Umstände zu erhalten
wünscht. Deshalb diese Zersplitterung und Zerfahrenheit, des:
halb diese 217onotonie; es fehlt an Stoff, an einer Aufgabe
unserer Zeit.