Das
Mittelalter.
Antike im
der
Nachleben
sehränkt walten. Man riihn1t die Kraft der inneren religiösen
Ueberzeugung, während thatsächlich die Gefahr drohte, daß das
religiöse Leben äußerlich gefaßt, die gläubige Hingebung in me:
chanische Werkthätigkeit verwandelt werde. Auf der anderen Seite
ergeht man sieh in Klagen über die Rohheit des mittelalterlichen
Formensinnes und die mangelhaste EntuJiekelung des Skhönheits:
gefühles, obgleich zahlreiche Urkunden von der großen Riihrigkeit
des Mittelalters auf allen Gebieten der Kunst sprechen. Ju einem
einzigen Punkte herrscht vollkommene Uebereinstim1uuug, eine
Eigenschaft wird dem Mittelalter von Tadleru und Lobredneru
gleichmäßig zugesehrieben: Die Abkehr von der Autike, die
Versihlossenheit gegenüber dem klassischeu AlterthunIe.
Diese Ueberzeugung hilft eben so sehr die allgemeine Natur
des Mittelalters beftinnnen, wie sie die Anschauungen von der
Entwiekelung der bildenden Kunst beherrfcht und die Gliederung
der kunsthistorischen Perioden regelt. Das fünfzehnte Jahrhuu:
dert scheidet auf kiinstlerischem Gebiete zwei Weltalter; jenseits
desselben in der mittelalterlicheu Welt waltet als bezeichnender
Zug die Uukeuntniß der Autike, diesseits dagegen wird die Kunst
des klassisehen Alterthums als Muster zur Nachahmung den Zeit:
genossen aufgestellt und durch den begeisterteu Cultus der Antike
der Umschwung der Kunst und ihr Aufschwung zur höihsten
Reinheit bewirkt. Wenn eine Thatsaehe so beharrlieh, so allgemein
als wahr behauptet wird, geräth man leieht in die Versuchung,
sie gläubig anzunehmen. Jn diesem Falle treten noch sachliche
Griinde hinzu, um das Mis;tranen gegen die Richtigkeit der Au:
ficht zuriiekzuweisen. Spricht nicht aus jedem Bildwerle des Mit:
telalters, aus den krausen Formen, dem verzerrten Ausdruck,
der mangelhaften Zeichnung die geioaltfame Abkchr von dem
antiken Jdeale, predigen nicht die Worte und Thateu hervorra:
gender Männer des Mittelalters unverholen den Kunsthaß und
Verachtung des Alterthu1ns2
Da ist z. B. der Abt Eadmer von St. Alban, welcher aus:
gegrabene Erzbilder als heidnifche Jdole unbarmherzig zerschlagen
läßt. Mit großer Seelenruhe erzählt Matthäns Paris diese That,
ähnlich wie ein anderer Mönchschronist mit fiihtbarem .Wohlge:
fallen versichert, die Kaiserin Theophanu müsse ihre Vorliebe für
die Künste des Luxus im Fegefeuer abbiißen. Wie abfällig sich