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Rafael7s
DiSputa
und
Schule von
Athen.
Sind in den Rasaelischen Waudgemälden der DisPuta und
der Schule von Athen in der That Lehrsysten1e auseinandergeseHt,
erscheint in denselben die Geschichte einzelner Discipliuen ent:
wickelt, so ruht das entscheidende Gewicht auf der Seite des Ja:
haltes. Wie bei allen didaktischen Werken wird dann auch hier
weder bei der Schöpfung noch bei der genießenden Betrachtung
die Phantasie zu erhöhter Thätigkeit herangezogen. Der Beschauer
tritt vor das Bild mit der Frage: Was und wen stellt die
Gruppe, die einzelne Figur vor2 Bei Werken, welche das Lehr:
hafte ihrer Schilderung nicht betonen, wird dieser Standpunkt
der Neugierde augenblicklich überwunden, nnd das Auge wendet
sich sofort zum Genuße der schönen Formen. Hier dagegen fehlt
ihm die Muße, die letzteren zu betrachten. Hat der Beschauer den
Inhalt nicht schon anderweitig sich angeeignet, so wird er Figur
nach Figur, Gruppe nach Gruppe rathend prüfen, ob er auch,
was und wen sie vorstellen, erkenne; besitzt er diese Kenntniß
schon früher, so wird ihn die Uebereinstimmung des Bildinhaltes
mit den vorausgeschickt Vorstellungen ausschließlich beschäftigen.
In beiden Fällen wird das Auge unmittelbar von dem Ver:
stande abgelöst, die Richti gkeit der Darstellung als schlies3licher
Eindruck zurückbleiben.
Die Unterweisung wird im Bilderwerke in angenehmer Form
gegeben, aber das Angeneh1ne hat keinen selbständigen Werth,
und wora11f es vorzugsweise ankommt, das Vorführen längerer
Vorstellungsreihen, so kann dieses ohne merklichen Unterschied
auch durch gestaltlose Worte geleistet werden.
Auch bei dem Künstler erscheint dann nicht die Phantasie,
sondern der Verstand als das wirksamerc Organ. genügt
nicht, das; ihm das Motiv in seinen allgemeinen Umrissen zur
freien Belebung überliefert wird, da gerade die bestimmte Folge
von Vorstellungen, die Richtigkeit der Schilderung im Besonderer:
und Einzelnen das Bedeutungsvolle des Werkes bildet. Die Zahl
der darzustelIenden Figuren, ihre Stellung und Gruppirung, ihr
Ausdruck und Charakter, Alles wird dem Künstler vorher ange:
geben und verdankt keineswegs erst seiner schöpferischen Phantasie
das Dasein. Nicht sein Auge oder sein künstlerischer Sinn ent:
scheidet über das Formelle des Bildes.
Da es galt, die Entwickelung theologifcher Lehrbegrisfe in