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VII.
Das
Wahrheit.
Streben nach
deuten des evangelisch:lntherischen Landeskonsistoriums Sachsens
hat schwerlich je in seinen kirchlichen und politischen Ansichten ge:
schwankt. Kirchbach nennt seine Gestalten Fabrikarbeiter, grenzenlos
Arme, Sachsengänger und Landarme. Uhde habe des Spruches
sich erinnert: Jch kam nicht einzuladen die Gerechten, sondern
die Sünder zur Sinnesänderung, als er sein malerisches Armen:
evangeliu1n gab. Kirchbach stellt es in Verbindung mit der Partei
Stöckers, welche die Ar1nenfrage und die sociale Frage mit Hilfe
des Christentums lösen will, als einer soeialen Botschaft. Er
traf Uhdes Absicht wohl besser als jene. Sie ist social, weil sie
modern ist. Seine Bilder sind nicht zur Anbetung geschaffen, sie
verwahren sich auch dagegen, lediglich ästhetische Reize zu bieten.
Die Religion mußte erfahren, sagt Vischer, daß sie an der Kunst
eine Verräterin in ihrem Hause ausgezogen hatte. Die Götterbilder
wurden schöner und schöner; und man mußte sich überzeugen, daß
sie in ihrer vollendeten Schönheit nicht die Erbauung sörderten.
Das heißt: wenn einer sich von einem Gottesdienst erbaut glaubt,
der sich den reichsten Schmuck der Künste anlegt, so möge er sicher
sein, es ist zum größten Teil Kunstfreude, die er empfindet. Diese
aber stimmt nicht religiös. Dem strengen Ernst der Religion
gegenüber ist die Schönheit zerstreuend. Schönheit sehen ist etwas
ganz anderes als im tiefen, dunklen Versöhnungsdrang eine Bild:
gestalt verwechseln mit einer Person, die es giebt, die da ist, an
die man hinbeten kann. Die Sixtina hat nach Vischer nur ge:
wonnen, daß sie aus der Kirche in ein Museum kam. Dort wurde
sie, sagt er, als GöHenbild angebetet, hier betrachtet sie der ärgste
Ket5er mit höchster Erhebung der Seele. Nicht das anzubetende, sondern
das innerlich erhebende Bild sucht Uhde. Er bekämpft jenen Verrat,
indem er an Stelle der Schönheit die Wahrheit zu setzen trachtet,
den in Formen eingesenkten, eingezauberten Lebensgehalt. Er will
weder die zerstreuende noch die zum Gebet.reizende Schönheit, nicht
das griechische Jdeal und nicht den Götzen. Er will, daß Christus
seine Wirksamkeit dem Beschauer vorlebe, damit er sie durch
die Kunst innerlich begreife, von ihr ergriffen werde. Und dazu
braucht er die Anknüpfung an das Leben, an das, was uns selbst
bewegt, an unsere eigene Zeit.