Volltext: Die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts (Bd. 2)

Schirmen 
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ist als Atelierbesuch, sagte mein Vater, ein Bauer lieber als ein 
Gelehrter; der Bauer erkennt, ob ich eine Eiche oder Buche, Buch: 
weizen oder ein Kornfeld male; der Gelehrte will immer ;was am 
Bild erklären, er sucht etwas darin, er guckt nicht auf die Leinwand, 
sondern hinter die Leinwand. Dieses Gucken hinter die Leinwand 
stak aber tief im Geiste der Zeit. Man nannte die schlichte Natur: 
darstellung naive Poesie, sie erschien wie Volksgesang; vom reifen 
Künstler forderte man aber bewußte Dichtung, Kunstgesang. Schirmer 
lieferte diesen. Feuerbach erzählt von ihm, er sei ein dicker, knorriger 
Mann gewesen, der durch sei11e teutonischen Eichenwälder eine Art 
von Düsseldorfer Berühmtheit erlangt hatte. Seine Arbeiten zeigten 
eine gewisse Derbheit, und man hätte sich ihren Schöpfer wohl 
als einen kräftigen Charakter denken können; aber er barg 
unter der Hülle seiner Biederkeit eine schwankende, leicht zugäng: 
liche Seele. Das sind Vorwürfe, die man im Grunde alle für Lob 
nehmen kann. Jedenfalls hat Feuerbach darin recht, daß Schirmer 
den Einflüssen der Zeit nachgab. Er schuf historische Landschaften, 
die aber weniger, wie jene Prellers, auf Zeichnung, als vielmehr, 
obgleich sie als Kartons entworfen waren, auf Farbe berechnet sind. 
Jn diesen stellte er sinubildliche Vergleiche zwischen den Tages: 
zeiten und Lebensarten an, die er nach Art biblisiher Gleichnisse 
fortspann. Vorsichtig baute er seine Bilder aus fleißigen Studien 
zusammen, vorsichtig griff er, sich selbst mißtrauend, zu fremden 
biblischen Darstellungen, um durch deren Einfleihten in das Bild 
diesem Gehalt zu geben, sie zu biblische11 Landschaften zu erheben. 
Sieht man die Reihe der gleichzeitigen Kritiken durch, so findet man 
auf ihn eine ganze Flut lobender Beiworte ausgeschüttet, die so 
gelehrt und schwungvolI sind, daß man sie, wenn man einigermaßen 
selbst Augur ist, mit verständnisvollen Lächeln begrüßt. Er hebe 
das Plastische in der Natur mit besonderer Kraft hervor, finde 
aber nicht die hinreichend warme Farbe; er bilde jede Einzelheit 
sorgfältig nach der Natur, jedoch er biete wohl der Phantasie, nicht 
aber dem Herzen Speise; er bringe wohl eine gemiitvolle Dur: 
stellung des wahren Seelenasfekts der Natur zuwege, idealen Duft 
dichterischer Empfindung, aber er entbehre jener liebenswürdigen 
Hingabe an den Gegenstand, der naiven Poesie des unbewußt 
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