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sehr wohl die Grundlage eines Flachbogenstyles gewähren kann. Der
Entwickelung desselben ist ohnehin die Anwendung des Eisens im heutigen
Bauwesen sehr günstig, denn das Eisen, soll es zur Herstellung einer
monumentalen Decke mitwirken, verlangt fast unbedingt den Flachbogcn,
in dessen Form es als Querrippe auftritt, um zwischen je zwei Rippen ein
Gewölbe Laus TopfsteinenJ aufzunehmen. Jn dieser Weise sind mehrere
Räume im neuen Museum und der große Börseusaal zu Berlin übcrdeckt,
jedoch ist bei beiden Bauten der Flachbogen nicht weiter entwickelt, sondern
in einer geradlinigen Architektur versteckt. Die thörichte Absicht, einen
neuen Baustyl zu erfinden, über die eine Zeitlang sehr ernsthaft
verhandelt wurde, nnd deren Verwirklichung sogar amtliche Anregungen,
besonders in Bayern, fast mit Gewalt erzwingen wollten, richtet sich nach
dem Gesagten von selbst. Was ans diesen Bemühungen hervorgegangen,
ist die traurigste Styllosigkeit, wie sie sich denn auch in der Maximilians:
straße zu München in granenerregender Blöße zeigt. Baustyle können nur
natürlich entstehen, nicht absichtlich gemacht werden.
Es schien nöthig, hier in aller Kürze anzudeuten, auf welchem Prineipe Ckmstructioi1
die Baustyle beruhen, um namentlich außer Zweifel zu setzen, daß nicht UiOmmM
im Ornament, sondern in der Construction, deren Schlüssel wiederum die
Decke ist, das Wesentliche derselben besteht. Die ästhetische Ausbildung
lehnt sich erst an die Construction und entwickelt sich zum Theil in ganz
ungeradem Verhältniß zu dieser, d. h. eine vollendete Constructiou hat nicht
immer eine vollendete ästhetische Ausbildung im Gefolge, aus welchen
Punkt wir früher schon Gelegenheit C6. Abschnitt: BaukunstJ hatten, hin:
zuweisen. Construetion und Ornament zusammen bewirken aber erst den
vollen Baustyl, jene jedoch ist die Grundlage desselben.
Wenn die Construetiou sich auf die technische Geschicklichkeit eines asZek3MYi
Volkes gründet, so verlangt das Ornament künstlerische Begabung, und H33FmFeeFZ3jctZ
auch von dieser Seite her leuchtet es ein, daß Schönheitssinn und haud: ftyless
merkliche Vollkommenheit erfahrungsmäßig sich nicht oft in einem Volke
vereinigen. Durch das Ornament in Anlehnung an die Construetion
spricht sich nun im Banstyle der kiinstlerische Charakter eines Volkes oder
einer Periode aus, so daß derselbe kiinstlerische Charakter auch die Auf:
fassungsweise bestimmen muß, in welcher die Gegenstände der beiden andern
Künste dargestellt werden. Wenn aber die letzteren vorzüglich sich den
Stylbedingnngen der Bildnerei und Malerei fügen sollten, so werden auch
die bildnerischen und malerischeu Werke eines Volkes, welches diese Styls
bedingungen nicht lebendig fühlt nnd unterscheidet, nothwendig hinter den:
selben zurückbleiben oder über dieselben hinausgehen müssen, je nachdem
sein künstlerischer Charakter angelegt ist.
Riegel, Gram. d. bin. Künste. 14