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Die Zerstörung
von
Jerusalem.
merklichen Unterschied zwischen Bild und Natur wahruahm. Die sorgen:
vollen Nachtwachen erhabener Gedanken waren über dieses so lieblich
geformte Antlitz, dahin gestreift, und das Feuer, welches die edeln Ge:
bilde dieses Geistes schuf, hatte auch die Stätte seiner Wirksamkeit mit
den Zeichen seiner gewaltsamen Macht gestempelt. Ein zierlicher, feiner
9JEan11 in den Dreißigern, mit blauem, sauberm Malerkittel und einer
Palette in der Hand, so stand Kaulbach nor mir. Er sah mir scharf
ins Gesicht, machte eine srenndlich:schüchterne Bewegung des Grußes,
nahm mein Etnpfehlungsbillet, und erkundigte sich nach dem Adressanten.
Dann ersuchte er mich, seine Gemälde zu betrachten und ihn zu ent:
schuldigen, da er z11 arbeiten habe. So rasch diese seltsame Erscheinung
auch an mir Voriibergegaugeu war, so machte sie doch einen unaus:
löschlichen Eindruck auf mich. Dieses totbleiche Gesicht mit der er:
habenen Stirn, an die sich die spärlichen schwarzen Haare glatt und
ängstlich anschließen, diese feingeformte, leichtgehobene, spitze Nase, diese
tiefblauen, eingesunkenen Augen, mit ihren beweglich spielenden Strahlen,
welche so seltsam bis in des Herzens innerste Tiefe hiueinfragen, dieser
liebliche Mund, den Lockung und Kummer zugleich umschließen, dieser
Ausdruck von körperlichem Leid und geistiger Hoheit, von ideellem
Streben, edelm Stolze, echter, inniger Menschenfreundlichkeit, über welche
die Stürme des Lebens die Eisdecke kalter Zurückgezogenheit gelegt
haben. Alles dieses war von so überwältigendem Eindruck, das; ich
mich keines nur ähnlichen aus meinem Leben zu entsinnen wüßte. In
dieser schüchternen, stillen Sittsamkeit lebt und schafft der wahre Genius,
und ich darf gestehen, dieses Meisters Schöpfungen erst wahrhaft ge:
würdig: zu haben, nachdem ich ihn selbst gesehen.H
Ein Professor Doktor J. Gambihler in Nürnberg bat im Oktober
1844 nn1 einige sichere biographische Notizen von Kaulbach, da die in der
deutschen Litteratur bekannten Biographieen häufig voller Jrrtümer seien.
Am liebsten sei es ihm, wenn Kaulbach selbst ihm einen Umriß seines
Lebens mit seinem Namenszuge wolle zukommen lassen, er beabsichtige
dann eine ausgearbeitete Skizze in das in London erscheinende, in
seiner Art für England einzige Kunstjournal ,,Art:Union JournalU
zu liefern. Dem Journal läge daran, gewisse deutsche Städte, dar:
unter namentlich München, in bezug auf Kunst, für stehende Artikel
auszuführen. Jmmer hätten einzelne Engländer, namentlich die reisen:
den, viel Jnteresse an deutscher Kunst und deutschen Künstlern genommen,
allein im Lande selbst, im gesamten England, sei die Kenntnis deutscher
Kunst nur gering gewesen.
Jmmer häufiger wurde Von da ab Kaulbach der Gegenstand öffent:
licher Besprechung in Zeitungen und Kunstblättern. Von allen denen,