Anakreon.
409
Daneben wurden mehrere interessante Porträtstndien ans Kaulbachs
Nachlaß veröffentlicht, die dieser Schaffensperiode angehören, Kostüm:
bilder von sehr fleißiger Ausführung 1md, was ihr inneres Leben angeht,
von großem Reize: Torquato Tasso in mildem, nachdenklichen Ernste;
ein sehr graziiis ansgesiihrter Edelknabe mit dem Falken auf der Hand
und der Geige aus dem Rücken; und ein blühender, in tiefes Sinnen
versunkener Künstler, n1it Buch und Stndie1nnappe, dem ein junges
Weib ein Glas Wein und eine Rose bringt alle drei vermutlich in:
folge der zweiten italienischen Reise gemalt.
Aus derselben Zeit stammt auch das einstmals vielbesprochene Ob
bild Kanlbachs, ,,AnakreonE, dem spätere Generationen freilich weniger
Geschmack abzugewinnen vermögen. Es ist eine etwas weichliche Dur:
stellnug der Unterweisung der ziirtlichen Geliebten durch den Dichter,
eine veränderte, nicht aber verbesserte Auflage der Komposition zur fünften
Elegie von Goethe. Vor dem Paare liegt ein Buch aufgeschlagen, während
ziemlich anziiglich auf der Seite des Mädchens ein Amor Ol auf das Licht
giesst und auf des Dichters Seite ein zweiter geflügelter Knabe Früchte
herbeibringt. Das Bild wurde mehrfach vervielfältigt, blieb aber selbst
im Besit,5e des Künstlers und fand auch eine photographische Wieder:
holung in den Publikationen ans dem Nachlaß. Ein Ungar, St.
Pionnay, der 1840 in Kaulbachs Atelier arbeitete, auch dort den
Eieerone machte, wenn der Künstler abwesend war, hatte ursprünglich
die Absicht kund gethan, den Anakreon zu kaufen. Es geschah das in
einer Zeit, wo Kaulbach ziemlich vertranten U1ngang mit mehreren
hochbegabten Ungarn in München hatte. Dazu gehörten Szarvady,
später inHParis thätig, Eötvös, Teleph und Petrits.
Während der Anakreon gemalt wurde, machte Freund Felsing aus
Darn1stadt dem Künstler beherzigenswerte Vorschläge über einzelne
Punkte des Bildes Lin einem Briefe vom 21. Juni 184Us: ,,Das3 ich
Dir heute schreibe, geschieht nur, um Dir zu zeigen, wie sehr ich mit
Dir in1 Geiste zusammen lebe. Das angefangene Bild steht mir eben
so lebhaft vor Augen, sollte ich darum nicht eine Ansicht aussprechen
dürfen, die mir beim Aufzeichnen einer kleinen Skizze einfielP Jch meine,
es müsse schöner sein, wenn das Kissen, worauf die Geliebte halb sitzt,
halb liegt, wie in dem Karton, ein dunkelfarbiges Divankissen mit
streisigen Verzierungen wäre, statt wie jetzt durch das helle Leinen mehr
an ein Bett zu erinnern. Auch meine ich, es wäre der Gruppe vor:
teilhaft, wenn sich die weibliche Figur heller davon abhöbe. Dieser
letzteren dürftest Du vielleicht auch im Übermalen eine schönere Farbe
lheiters geben, als es jetzt das Gelb ihres Gewandes ist; der Gegensatz
in dem dunkelroten Mantel dürfte noch wohl vertragen. Alle