Griechenland.
Architektur.
nauen Wiedergabe des wirklichen Lebens bekunden auch die goldenen in den Gräbern zu Mykenae
gefundenen Gesichtsmasken und ein trefflich gearbeiteter Stierkopf von Bronze. Die Zweifel, ob wir
von solchen anserlesenen Werken auf die allgemein verbreitete Kunstbildung schließen dürfen, ver:
mindern die sogenannten Jnselsteine. Gemmen, Bilder, in weiche oder härtere, am Strande des Meeres
aufgelesene kleine Steine eingegraben, die durchbohrt, also bestimmt sind, aneinander gereiht zu
werden, werden auf dem Festlande Griechenlands wie auf den Inseln, insbesondere auf Kreta in großer
Zahl gesunden. Sie entlehnen in einzelnen Fällen die Gegenstände ihrer Darstellung dem Orient, sie
schildern aber vielfach auch neue, offenbar heimische Objekte, wie außer Seetieren das Pferd; sie ver:
sinnlichen, wenn auch in grober Weise, hellenische Mythen, z. B. die Fesselung des Prometheus, und
zeigen, was das wichtigste ist, in der Technik, sowie in der Anordnung und Zeichnung eine Ver:
wandtschast mit den Goldbildern von Mykenae und mit dem Schmuck auf den ältesten Thongefäßen.
Die Jnselsteine fallen in den Bereich der volkstümlichen Kunst und beweisen die langdauernde
Herrschaft eines einheitlichen Stiles, den wir nach seinen hervorragendsten Proben den mykenischen
Stil zu nennen pflegen. Daß daneben auch noch ganz primitive Werke entstanden und
mannigfache Beziehungen zur orientalischen Kunst, teilweise vermittelt durch die Verpslanzung
orientalischer CsemitischerJ Mythen, unterhalten wurden, raubt der Wahrnehmung srühester
selbständiger Kunstkeime nichts am Werte. Offenbar haben wir es mit einer Kulturstufe zu
thun, auf welcher die Individualität des griechischen Volkes noch schlummerte. Darin liegt aber
der weltgeschichtliche Beruf der griechischen Kunst, daß sie, sobald das hellenische Bewußtsein
erwacht ist, schöpfe1isch auch die aus der Fremde entnommenen Formen und Motive so umge:
staltet, daß sie erst jeht das wahre Leben gewinnen. Einmal von der hellenischen Phantasie
angehaucht, verlieren sie bald die Spuren ihres äußeren Ursprunges.
Architektur.
Die
Entwickelung
hellenischen
Baukunst.
Das Herrenhaus der griechischen Vorzeit, in Vorhalle und Saal gegliedert, mit Säulen
geschmückt, die sich an der Vorderseite der Vorhalle zwischen den vorspringenden Seitenmauern
erheben, ist die Wurzel des hellenischen Tempels. Jndem die Griechen das Gotteshaus aus
dem Wohnhaus der Menschen hervorgehen ließen, vollführten sie eine That von großer sittlich:
religiöser und künstlerischer Bedeutung. Der Naturdienst sinkt in Dunkel z11rüEk. Der Eintritt
in die menschliche Wohnung bringt die Götter dem menschlichen Wesen näher, ihr Charakter
und ihr Kultus empfangen menschlich anheimelnde Züge. Die Richtung der künstlerifchen
Phantasie wurde dadurch dauernd bestimmt. Wie die Götter im schönsten und prächtigsten
menschlichen Hause thronen, so hiillen sie auch ihren Körper in die schönsten, kraftvollen mensch:
lichen Formen. Aber auch auf dem engeren Gebiete der Architektur übt die Wahl des Hauses
als Ausgangspunkt auf die Entwickelung des Tempels einen entscheidenden Einfluß. Er gewinnt
im Gegensätze namentlich zum ägyptischen Tempel eine geschlossene, einheitliche Gestalt. Selbst
nachdem er auf die höchste Stufe der Vollendung gehoben worden war, behielt er noch das
Gepräge eines allerdings idealen, ohne Rücksicht aus zufällige, gewöhnliche Bedürfnisse geschaffHnen
Hauses. Gleich einem Weihgeschenke wurden die Tempel den hohen Göttern dargebracht. Die
Cella wird ringsum von Säulen umschlossen, die das wie Adlerflügel sich ausbreitende Giebel:
dach tragen.
Ehe aber die hellenischen Tempel diese vollkommene Gestalt erreichten, vergingen viele
Jahrhunderte. Das Ornament der in Mykenae ausgegrabe11en Steinsäulen erinnert an Metall: