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Bad. 1. Kapitel.
2. Jngreg.
sind. Aber mag nun dies daran Schuld sein oder der Umstand, daß der.
Inhalt beider Seenen sich vom Maler nicht vollkommen aussprechen läßt:
der Ausdruck ist einerseits durch eine gewisse Schwäche, wie in der Octavia,
unter der Wahrheit geblieben, andererseits durch den Aufwand von zu viel
Pathos, wie im Seleukos und im Arzte, über sie hinausgegangen. Ueber:
haupt ist das Bild der Stratonike, sonst hervorragend durch die n1eister:
haste For1nbehaudlung und die bewundernswerthe Vollendung, mit der alles
Einzelne zu künstlerischer Erscheinung durchgebildet ist, durch den Mangel
an Einfachheit in seiner Wirkung beeinträchtigt. Das umgebende Gemach
und Geräthe, allzu reich ausgestattet, ist mit förmlich archäologischer Au:
strengung ebenso sorgfältig ausgeführt, wie die Figuren; Jngres hat hierin
einen Zug der romantischen Schule, das Beiwerk möglichst treu im Cha:
rakter der Zeit gehalten eine Rolle spielen zu lassen, mit fast pedantifchem
Eifer ausgenommen und ist so seinerseits unter den Neueren der Erste ge:
wesen, der das autiqnarische Jnteresse in der Kunst und das Bestreben,
durch die Nebendinge die Lokalsarbe zu erhöhen, auf das AlterthuIn singe:
wendet hat. Und wie eben dadurch in der ,,StratonikeE die Bedeutung
der Personen abgeschwächt ist, so haben diese überhaupt nicht die unbe:
saugene Lebenssiille, welche uns aus den Gestalten der großen italienischen
Kunst zur Ruhe eines idealen Daseins gemäßigt und doch mit unwider:
stehlicher Macht entgegenschlägt. Dieser Mangel wird noch fiihlbarer durch
das helle freskoartige Kolorit, dem es gleichfalls an Saft und Tiefe fehlt,
ja auch durch die spiegelartige Glätte und Feinheit der Ausführung, welche
eben dadurch, daß sie das individuel1e Werk der Hand ganz verheimlicht,
das Leben in ihrer gegossenen Fertigkeit wie gefangen hältEJ.
Das Hauptwerk aber des Künstlers ans dem Kreise der Autike ist
das Plafondbild, die Apotheose Ho1nersi L1827J, das früher einen
Saal der Antikensammlnng im Louvre schu1iiekte, jetzt in: Luxembourg
sich befindet und dort durch eine Kopie ersetzt ist. Hier kaut es Jngres zu
gute, daß er nicht in eine bestimmte Periode, zu einem bestiuunten Ereig:
niß zuriickzngreifen brauchte; es galt vielmehr, die Verherrlichung des
7J Das Bild war bis zum Jahre 1853 in der Gacerie des Herzogs von Orl6ang
nnd ging dann bei dem Verkauf derselben um den hohen Preis von 63,000 Fr. in den
BGB des Fürsten Deu1idoff über. Ja dessen Villa bei Florenz, wo ich es gesehen habe,
konnte es in der That den Vergleich mit den dort vereinigten kostbaren Gen1älden der
älteren. Schulen nicht aushalten. 1863 wurde es gar um 100.000 Fr. vom Herzog
v. Aumale erstanden.