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Kapitel.
J1Igres.
Ganzen zurücktraten, thaten der Wirkung des Bildes wenig Eintrag. Mit
ihm erwarb Ich diesmal Jngres auch in Frankreich das Ansehen, zu dem
er schon seit längerer Zeit in Italien gelangt war. Mitten in den Kampf
der kühnen romantischen Neuerungen mit der absterbenden klassischen Schule
traf mit seiner ungewohnten Art das Werk, dein eine eigenthiimliche nnd
hervorragende Bedeutung keine der Parteien absprechen konnte. Ein neues,
belebendes Element, das fühlte man, trat mit seinem Urheber in die
moderne Malerei ein, und gegenüber dein rein malerischen, leidenschafti
licheu Wesen der Romantiker erhoben sieh mit dem Recht und der Stärke
des in der Kunst selber begründeten Gegensatzes die Reinheit und der Ein:
klang der gelä11terten, von einem stillen gehobenen Geiste belebten Form.
Was noch in der Literatur nnd Kunst fiir Gesetz und cEbenmaß gegen die
Ausschreitungen der Nenerer in die.Schrauken treten mochte, stellte sich
mit lauter Anerkennung auf .Jngres7 Seite, und da er gegen jene Talente
des Umstnrzes gewissermaßen das Prinzip der Ordnung vertrat, brachte
ihm sein Bild von Seiten der Akaven1ie nnd Regierung auch öffentliche
Ehren ein. Er selber kehrte nach fast zwanzigjähriger Abwesenheit nach
Paris zurück, und nahm bald, wenn gleic; die Noutantiker getragen von
der Zeitströ1nnug und gestützt auf ihre Zahl noch das Feld behaupteten, eine
angesehene Stellung als Haupt einer Richtung ein, die seit Ende der
zwanziger Jahre als eine bestimmte Schule innerhalb der modernen Malerei
ihren festen Plan hat. Nicht lange nach diesem durihsthlagenden Erfolge
erhielt Jngres den Auftrag zur Ausschmiicknug eines Londreplafoud8 und
damit die Gelegenheit, sich in der monn1nentalen Kunst zu bewähren, die
naturgemäß sein eigentliches Feld war. Doch will ich hier, ehe ich zu
seinen anderen Werken übergehe, die Betrachtung seiner noch übrigen relis
giösen Gemälde anschließen: da der Künstler, einmal zur Reise gelangt,
immer sich gleich geblieben ist, erhält man den besten Einblick in seine
Thcitigkeit, wenn man seine Leistungen in den verschiedenen Gattungen
znsatnmenfaßt.
Die Frucht einer neunjährigen Arbeit war das große Gemälde .,das
Martyrerihu1n des heiligen Shmphorianlt cvollendet 1834z in der
Kathedrale von AntUnJ, das von Anfang an für eines seiner Hauptwerke
gegolten hat. In ihm hat sich Jngres nicht mehr ausschließlich den Rai
phael einer bestimmten Epoche zum Vorbild genommen. Er fühlte wol,
daß das Motiv als wunderlose Begebenheit aus der Heiligengeschichte einer
freieren Anschauung günstig sei und eine größere Kraft nnd Fülle der Form